Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Weinfurter, Stefan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Päpstliche Herrschaft im Mittelalter: Funktionsweisen - Strategien - Darstellungsformen — Mittelalter-Forschungen, Band 38: Ostfildern, 2012

DOI Artikel:
Laudage, Johannes: Die papstgeschichtliche Wende
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34754#0068

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die papstgeschichtliche Wende

67

beschmutzt, durch Häresien verdreht oder durch unkanonische Verhaltensweisen
in Frage gestellt werden. Gerade die päpstlichen Synoden der Frühreform schärf-
ten daher gebetsmühlenartig die Normen des Kirchenrechts ein oder bemühten
sich um eine theologische Klärung von Streitfragen.
Im Laufe dieses Reformprozesses zeigte sich allerdings rasch, dass es mit der
Erstellung eines klaren Anforderungsprofils für den priesterlichen Dienst und
seine Begleitumstände nicht getan war. Neue Ideen wie die Gedanken der vita
apostolica, des Kreuzzugs, des Gottesfriedens und des Ablasses traten hinzu; an-
dere Themen - wie die Azymenfrage84 - verschwanden ebenso schnell, wie sie ge-
kommen waren. Insgesamt ist es daher schwierig, eine Generallinie zu formulie-
ren, die von 1049-1216 in Geltung blieb. Aber signifikant ist für alle religiösen
Zeiterscheinungen, dass das Papsttum regulierend und privilegierend in sie ein-
griff, mit anderen Worten: dass der Papst nun nicht mehr „eine erhabene, fast le-
gendäre Gestalt in weiter Ferne"85 war, sondern den Menschen durch seine Urkun-
den, Legaten und Dekrete immer näher kam. Ohne diese vielfältigen und
erstaunlich oft nachgefragten Aktivitäten des römischen Bischofs und seiner Kurie
ist der religiöse Aufbruch im Ordenswesen, sind aber auch die Kreuzzugsbewe-
gung und die Verfolgung häretischer Strömungen gar nicht denkbar. Der Papst
entwickelte sich somit zum einzigen Garanten der Einheit in der Vielfalt; nicht
umsonst konnte sich Innocenz III. als arbiter mundi betrachten.
Die elementaren Voraussetzungen dieser geistlichen Führungsstellung waren
freilich die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes sowie die Gedanken seines
universalen Hirten- und Richteramtes. Sie stützten sich bekanntlich auf drei Bibel-
stellen, die immer wieder zitiert wurden - gemeint sind Lk, 22, 32, Jo 21,15-17 und
Mt 16,18f. Hier und nicht etwa in einer simplen Übertragung bischöflicher Gepflo-
genheiten auf die Gesamtkirche liegt denn auch die eigentliche Wurzel für das
selbstbewusste Auftreten der Reformpäpste als Gesetzgeber, Richter, Hirten und
Kirchenlehrer. Leo IX. und seine Nachfolger wollten Hüter einer biblisch fundier-
ten und Jahrhunderte alten Überlieferung sein. Die Rechtstradition der römischen
Kirche galt ihnen als Teil der geoffenbarten Glaubenswahrheit, und die Kanoni-
sten bestärkten sie darin. Es ist kein Zufall, dass Paschalis II. sich 1112 unter ande-
rem zu den Dekreten seiner Amtsvorgänger bekennen musste, um seine Recht-
gläubigkeit zu erweisen.
Bereits 1049 hatte Petrus Damiani an Leo IX. geschrieben, dass es zur Verein-
heitlichung des Kirchenrechts notwendig sei, auf die päpstliche Rechtstradition zu
achten86. Und Gregor VII. hatte dieses „Konkordanzprinzip" später in den Dictatus
papae übernommen, und zwar mit den Sätzen: „Dass kein Rechtssatz und kein
Buch ohne seine [d.h. des Papstes] Autorität als kanonisch gelten darf"87 und: „Dass

84 Vgl. dazu zuletzt den Exkurs bei Bayer, Spaltung (wie Anm. 23), S. 214-221.
85 Tellenbach, Kirche (wie Anm. 4), S. 65.
86 Vgl. Die Briefe des Petrus Damiani 1, hg. von Kurt Reindel (MGH Briefe der deutschen
Kaiserzeit 4, München 1983, Nr. 31 (Liber Gomorrhianus), S. 284-330, bes. S. 300.
87 Reg. II, 55a, c. 17, S. 205, Z. 8f.: Quod nullum capitulum nullusque liber canonicus habeatur absque
illius auctoritate.
 
Annotationen