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Weinfurter, Stefan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Päpstliche Herrschaft im Mittelalter: Funktionsweisen - Strategien - Darstellungsformen — Mittelalter-Forschungen, Band 38: Ostfildern, 2012

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Schieffer, Rudolf: Papsttum und neue Königreiche im 11./12. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.34754#0071

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Rudolf Schieffer

Herzogtümer, Markgrafschaften und Grafschaften und alle Besitzungen einem je-
den Menschen nach Verdienst geben oder nehmen könnt"3.
Der Anspruch auf uneingeschränkte Verfügungsmacht über jegliche Form
von irdischer Herrschaft, der hier in einem Moment höchster Erregung aus der
allgemeinen Binde- und Lösegewalt des Petrus und seiner Nachfolger abgeleitet
wurde, sollte unmittelbar den widerspenstigen Salier zu Fall bringen, was nicht
gelungen ist, war aber auch sonst fern der Realität und ist vom hochmittelalter-
lichen Papsttum im Grunde nie in aktives, planvolles Handeln umgemünzt wor-
den4. Von einer Vergabe von Thronen und Kronen nach freiem Ermessen des römi-
schen Pontifex kann gewiss nicht die Rede sein, aber die überragende und
gemeinhin unbestrittene geistliche Vorrangstellung in der lateinischen Christen-
heit brachte es doch mit sich, dass sich das Papsttum des 11./12. Jahrhunderts im-
mer wieder als legitimierende Instanz nahelegte, wenn Veränderungen in der po-
litischen Ordnung Europas nach Anerkennung und Absicherung drängten. Wir
betrachten somit ein Feld ganz überwiegend reagierender päpstlicher Aktivität,
das sich insofern vom gestalterischen Impuls der innerkirchlichen Reformpolitik
des gregorianischen Zeitalters abhebt.
Der Gedanke, beim Papst in Rom bestätigenden Rückhalt für eine neue
Reichsbildung zu suchen, war nicht völlig neu, sondern bereits um das Jahr 1000
aufgetaucht, als sich am östlichen Rand der Christenheit mit Polen und Ungarn
zwei weitere getaufte Völker etablierten. Deren Herrscher, Boleslaw Chrobry und
Stephan der Heilige, wandten sich schon deshalb an den Apostolischen Stuhl, weil
sie sich ein eigenständiges Kirchenwesen mit einem Erzbischof an der Spitze
wünschten, und sie sahen sich durch den Erfolg ihres Bemühens zugleich in ihrer
eigenen monarchischen Führungsrolle bestärkt, wenngleich für den Aufstieg zum
Königtum damals noch das tatkräftige Einvernehmen mit dem Kaiser Otto III. von
größerem Gewicht war5.
Ohne Bezug zum Kaisertum und sogar gegen dessen Interessen begegnete
ein vergleichbares Ansinnen dann den frühen Reformpäpsten von Seiten der Nor-
mannen, die sich in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts in verschiedenen Teilen
Unteritaliens gegen die Byzantiner, aber auch auf Kosten des Kirchenstaates und
der spätlangobardischen Fürstentümer militärisch durchgesetzt hatten. 1053
lehnte noch Leo IX. im Vertrauen auf die Macht Kaiser Heinrichs III. das Angebot

3 Register Gregors VII, Reg. VII 14 a, c. 7 (wie Anm. 2), S. 487; vgl. Karl Jordan, Das Eindringen
des Lehnswesens in das Rechtsleben der römischen Kurie, in: Archiv für Urkundenforschung
12,1931, S. 13-110, hier S. 75.
4 Vgl. Othmar Hageneder, Das päpstliche Recht der Fürstenabsetzung: seine kanonistische
Grundlegung (1150-1250), in: Archivum Historiae Pontificiae 1,1963, S. 53-95; Othmar Hage-
neder, Weltherrschaft im Mittelalter, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Ge-
schichtsforschung 93,1985, S. 257-278.
5 Vgl. Arnold Angenendt, Kaiserherrschaft und Königstaufe. Kaiser, Könige und Päpste als
geistliche Patrone in der abendländischen Missionsgeschichte (Arbeiten zur Frühmittelalter-
forschung 15), Berlin/New York 1984, S. 296-310; Gerd Althoff, Die Zeit der späten Karolin-
ger und der Ottonen. Krisen und Konsolidierungen 888-1024 (Gebhardt, Handbuch der deut-
schen Geschichte 3), Stuttgart 2008, S. 295-303.
 
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