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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0049
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48

III Orientierung

Täter-Perspektive wird der sozialen Realität somit kaum gerecht.^ Dies trifft
auch für die Studenten zu, deren Verhältnis zur Gewalt Cassagnes-Brouquet
untersuchte. Es zeigt sich dabei, dass auch diese soziale Gruppe stark von
Ehrvorstellungen geleitet war, die sowohl individuell als auch kollektiv
durch Gewalt verteidigt wurden. ^ Den ,Sitz im Leben', den Gewalt im Alltag
der französischen Gesellschaft des 13. und 14. Jahrhunderts einnahm, analy-
sierte Skoda eingehend. Sie versteht Gewalt als „eine Art von Sprache", de-
ren Grammatik es allen Schichten der Gesellschaft erlaubte, auf spezifische
Weise miteinander zu kommunizieren, Identitäten zu festigen und soziale
Beziehungen auszuhandetnA Dennoch sei das Verständnis von Gewalt kei-
nesfalls eindeutig gewesen: „What constituted ,violence' in its medieval sen-
se, destructive of Order, illicit, aberrant, remained an open and complex ques-
tion."9i
Jenseits der mitunter divergierenden Einstellung verschiedener sozialer
Gruppen thematisierte die Forschung auch die Bedeutung von Gewalt für die
politische Kultur. Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung zwi-
schen König und Adel war sowohl das Thema einer Sektion des Historiker-
tages 2002 als auch einer Tagung des Konstanzer Arbeitskreises für Mittel-
alterliche Geschichte 2009, beide organisiert von Kintzinger und RoggeA
Allein der geographische Zuschnitt der jeweiligen Beiträge zeigt, dass grund-
sätzlich von politischen Kulturen im Plural ausgegangen wurde: Jede Gesell-
schaft habe ihre eigenen Regeln und Formen gehabt, mit Konflikten umzu-
gehen - Gewalt sei dabei in ihren verschiedenen Formen nur ein Mittel unter
anderen gewesen, wobei sie eben nicht mit Eskalation oder Unordnung
gleichgesetzt werden sollte.^ Die Ausübung von Gewalt folgte zumeist spe-
zifischen Regeln, wobei die politischen Akteure um ihre Kontrolle konkur-
rierten.^
Uber die Frage nach dem Verhältnis zwischen geordneten Konflikt-
lösungsmechanismen und (un-)kontrollierter Gewaltausübung hinaus lässt
sich in vergleichender Perspektive für das spätmittelalterliche England und
Frankreich eine zunehmend gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Kö-
nigtum und Adel kaum leugnen. Das römisch-deutsche Reich scheint hier
durch erfolgreiche Formen der ritualisierten Konfliktaustragung einen ande-
ren Weg eingeschlagen zu haben (und ersparte sich so womöglich, anders als

88 Vgl. dazu Sieferle, Einleitung, S. 18-20, sowie Braun/Herberichs, Einleitung, S. 23-30.
89 Cassagnes-Brouquet, Violence, S. 11 und 259f. Dazu auch Skoda, Medieval violence, S. 119-158.
90 Skoda, Medieval violence, S. 18, siehe auch 48f. sowie 232. Zum Konzept der „Grammatik der
Gewalt" siehe Münkler, Grammatik.
9' Skoda, Medieval violence, S. 242.
99 Siehe die Beiträge in: Königliche Gewalt, sowie künftig: Gewalt in der politischen Kultur des
späten Mittelalters. Der Band mit den Beiträgen der Reichenau-Tagung von 2009 konnte für
diese Arbeit nicht berücksichtigt werden. Ich danke jedoch Martin Kintzinger (Münster) für die
Möglichkeit, die Einleitung und das Fazit vorab einsehen zu können. Siehe auch Schultze, Ein-
führung.
98 Rogge/Kintzinger, Einleitung (Abschnitt 1).
94 Kintzinger/Rogge, Einleitung, S. 5, sowie Schultze, Einführung, S. 9-11.
 
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