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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0067
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66

III Orientierung

rungen artgeprangert und neue Heeresordnungen erlassen. Auch die Recht-
sprechung erlaubt einen Einblick in die Probleme der Zeit. Die Alltagskrimi-
nalität wurde anhand von königlichen Begnadigungsbrieten, den Teütrs de
remissioM, von Gauvard, Muchembled und Nassiet untersucht und aufgearbei-
tet, so dass ich in diesem Punkt auf ihre Ergebnisse zurück greife.^ Einzelne
Fälle werden jedoch mit direktem Rückgriff auf die Archivalien geschildert.^
Darüber hinaus erlauben Prozessmitschritten^ Einblicke in die Alltagswelt
und ihre Beeinflussung durch den Krieg: Die von Langlois und Lanhers aus
den Registern des Parlemoü edierten Prozesse (1319-1350)86 geben in dieser
Auskunft über die Zeit vor dem Hundertjährigen Krieg, während Timbal
Stücke für dessen erste Phase (1337-1369)8? bietet. Untersucht wurden des
Weiteren die Prozesse gegen Jeanne d'Arc (1430-31)88 und Gilles de Rais
(1440)89. Überliefert und ediert ist zudem das Register des städtischen Ge-
fängnisses von Paris, des CMfdef, von 1389 bis 1392.9° Es enthält Befragungen
und Urteile zu über 100 Fällen, die von Aleaume Cachemaree9' als zuständi-
gem Schreiber zusammengetragen wurden. Da diese in 80 % der Fälle mit der
Hinrichtung (häufig nach Einsatz von Folter) enden, erschien Meyer 1865 das
CMfdef als „entsetzliche Höhle, aus der man nur auf dem Weg zur Hinrich-
tung herauskam."92 Gauvard dagegen erklärte den überproportional hohen
Anteil von Todesurteilen durch die Intention des Registers. Vor dem Hinter-
grund der zeitgenössischen Diskussionen um Strenge und Wirksamkeit der
Justiz habe Cachemaree eine Auswahl an Fällen dokumentiert, die als bei-

83 Vgl. Gauvard, Grace especial; Muchembled, Violence; Nassiet, Violence. Zur Charakterisierung
der /ehre de rem/ss/oM als Quellengattung, siehe Gauvard, Grace especial, S. 63-75; Gauvard,
Violence et ordre public, S. 96f. Zur Gattung generell siehe auch: Nassiet, Requerir le pouvoir;
Guyotjeannin, Persuasion; Charbonnier, Remissions; Braun, Valeur; Francois, Note.
84 Die hehres de rem/ss/on liegen chronologisch geordnet in den Zlre/nues nehone/es in Paris, Fond JJ
(Register der Kanzlei), vgl. Les archives nationales, S. 212-230. Auszüge sind mitunter ediert,
so z.B. mehrere hehres, welche die Jae^Mer/e betreffen bei Luce, für die englische Herrschaft
über Paris bei Longnon, für das englische Wirken in Frankreich unter Heinrich VI. bei
Cacheux, für die hrorcdcHrs bei Tuetey; vgl. Luce, Histoire, S. 225-337; Paris pendant; Actes de
la chancellerie; Tuetey, Ecorcheurs.
83 Zur französischen Justiz im Spätmittelalter generell Carbonnieres, Peine, sowie Carbonnieres,
La procedure.
88 Edition: Confessions et jugements.
82 Edition: Timbal, Guerre.
88 Edition: Proces de condamnation.
89 Edition: Die lateinischen Prozessprotokolle wurden von Maulde-la-Claviere ediert und der
zweiten Auflage von Bossards Biographie beigefügt: Bossard, Gilles de Rais, S. 1-CLX. Die
französischen Protokolle finden sich bei: Bataille, Proces, S. 444-570.
90 Edition: Registre criminel.
94 Chachemaree war wohl normannischen Ursprungs, ist ab 1389 als Schreiber am CMh'h'f nach-
gewiesen, 1393 in dieser Funktion ersetzt, 1406 als Amtsdiener dort tätig. Wegen Abwesenheit
wurde gegen ihn (wie gegen alle Diener) im August 1411 eine Disziplinarstrafe verhängt. Ab
1414 ist er regelmäßig am Par/cwcMf nachgewiesen. Er starb wohl 1426. Vgl. Gauvard, Grace
especial, S. 41 -44; Duples-Agier, Introduction, S. VII-XXIII.
92 „Un antre effroyable d'oü l'on ne sortait que pour aller au supplice." Meyer, Registre criminel,
S. 374.
 
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