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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0126
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51 Intellektuell-reflektierend

125

Elite zu erklären, die die uns zur Verfügung stehende Quellenüberlieferung
verzerrt. Woran aber krankte in den Augen der Intellektuellen ihre eigene
Zeit?

Problematisierungen
Die kämpferischen Auseinandersetzungen des Hundertjährigen Kriegs waren
kaum Objekt intellektueller Sorge. Dies mag an der partiellen personalen
Überschneidung der hier als intellektuell angesprochenen Autoren mit den
obrigkeitlich argumentierenden liegen: Diese Personen traten für eine starke
königliche Stellung ein, die sie eher durch innere als äußere Konflikte bedroht
sahen. Doch die Sicht der Intellektuellen war keineswegs nur durch den Be-
zug auf die Obrigkeit gekennzeichnet, sondern auch durch theoretische Über-
legungen zum Zustand des Reiches und zur Art der Kriegsführung. Unter
Verwendung der Körpermetapher sah Christine de Pisan eine „tödliche
Wunde" im Körper des Reiches, die durch den gegenseitigen Hass der Unter-
tanen verursacht werde A Auch die Personifikation Frankreichs im QMddnh
ogMC mueUü klagte, die altbekannten Feinde (die Engländer) würden das
Reich von außen angreifen und mit Feuer und Schwert schädigen, das eigene
Volk aber, das eigentlich das Reich schützen sollte, bedrohe es von innen
durch seine Gier und schlechten Ehrgeiz.^ Frankreich wurde anhand der
Körpermetapher als Einheit begriffen, womit alle Glieder gleichermaßen für
seinen Zustand verantwortlich gemacht wurden. Chartier ließ seine France
nacheinander Ritter, Kleriker, Ratgeber und schließlich auch das Volk ankla-
genF3 Die Kritik der Intellektuellen erfasste damit viel stärker die gesamte
Bevölkerung mit ihren jeweiligen Aufgaben, als die Kritik seitens der Städter
oder des Klerus, die sich vor allem gegen das Rittertum richtete. Zwar griff
man bei der Klage über die Zerstörung des Fandes und die Vergehen gegen
das Volk auf stereotype Formeln zurück, die Wirkung wurde in der Analyse
jedoch deutlich von den Ursachen getrennt. Als eigentliches Problem identifi-
zierten die Intellektuellen den als geradezu widernatürlich dargestellten inne-
ren Streit, den sie auf egoistische Motive zurückführten A Monstrelet analy-
sierte, dass die Fürsten sich nur noch um die Herrschaft über das Reich strit-
ten, seitdem der König 1392 regierungsunfähig geworden war. Sie haben sich

Nach Christine müsse Gott CMrer ia woriede pdn/e & dMre dm/ne ei & sang ires orrdde ja
ioMie eMwedie & ioM CHidoiäyMe roi/HMwe & France tpd ioMi perissoii. Christine de Pisan, Livre de la
paix, S. 59 (1,1). Siehe auch Kennedy, Lamentacion, S. 180. Auch Jean Juvenal sieht den Körper
des Königreichs in Todesgefahr, Juvenal des Ursins, Ecrits, Bd. 1, S. 428-430 (Fo^Mar A irdndac;'-
OMC).
22 Dun- edose esi a moi/ t?Me aAs; me coMfieni piaAdre, weis pAs dMre ei de waAs de recon/ori t?Me uoMS,
tpu me deuez soMsienir, de/endre ei reieuer, esies aduersaires de wa prosperiie ei, en deM de gMerdow,
t?Merez wa desirMcion ei dHUHMcemeni de uoz sAgMders desirs. Mes andens ennewis ei aduersaAes me
gMerroieni HM dedors par^M ei per gddue, ei uoMS per dedans me gMerroiez per uoz coMuodises ei waM-
uaises HwAcions. Chartier, Quadrilogue, S. 16f.
23 Ebd., S. 18f.
24 Den Bürgerkrieg führte Alain Chartier auf Hochmut, Ehrgeiz und Hass und schließlich Luxus
und Trägheit zurück, Chartier, Oeuvres, S. 231-233 (Ad deiesiedonew).
 
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