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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0135
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134

1111 Voraussetzungen

Die Idee der Verhältnismäßigkeit der Gewaltausübung war damit einer-
seits das theoretische Gegenteil und andererseits das erhoffte praktische Ge-
genmittel zum oft beklagten Exzess. Dieser war durch das Fehlen der Propor-
tionalität definiert: Im Verhältnis zwischen Zweck und Mittel war er maßlos.
Das Missachten der Verhältnismäßigkeit aber widersprach elementar dem
mittelalterlichen Gerechtigkeitsempfinden A
Der intellektuell-reflektierende Zugang zur Gewalt ist ambivalent. Auf
theoretischer Ebene wurden verschiedene Formen der Gewalt einzeln disku-
tiert^ wobei der Krieg eine dominante Rolle einnahm. Johannes von Legnano
sah ihn nicht als gewaltsamen Kampf an, sondern als Konflikt, der aus einer
abstrakten Gegensätzlichkeit entsprangt Der mit Waffengewalt ausgetragene
Krieg galt im Mittelalter als gottgewollt und damit als natürlicher Bestandteil
der irdischen Ordnung. Jegliche Exzesse, durch die man die eigene Zeit ge-
prägt sah, wurden dem Missbrauch durch die Menschen zugeschrieben. Aus
dieser Sicht heraus wurden ab dem späten 14. Jahrhundert vermehrt kriegs-
theoretische Traktate verfasst, die sich um Systematisierung und Reglemen-
tierung der Kriegsführung bemühten. Diesen Traktaten lag implizit das Ideal
der Verhältnismäßigkeit der Mittel zugrunde. Gewalt war damit nicht per se
problematisch, sondern wurde dies nur durch die exzessive, das heißt über-
mäßige Ausübung. Vor diesem Hintergrund wurde vor allem die innere Spal-
tung der Fürsten beziehungsweise der Gesellschaft beklagt und problemati-
siert, da man meinte, dass individuelle Interessen über das Allgemeinwohl
triumphieren würden und die Gerechtigkeit nicht mehr geachtet werde.
In der Gesamtschau wurden die Probleme der Zeit einerseits metapho-
risch umgesetzt, etwa von Christine de Pisan als tödliche Wunde im Körper
Frankreichs. Andererseits wurden politische Problemfelder (innere Spaltung,
mangelnde Gerechtigkeit) benannt, die nur auf den zweiten Blick erahnen
lassen, dass Gewalt als Problem wahrgenommen wurde.
Ging es um Gewaltanwendung in der politischen Praxis, argumentierten
intellektuelle Autoren äußerst pragmatisch. Frieden erschien zwar als wün-
schenswert, jedoch nicht automatisch als oberstes Ziel politischen Handelns.
Argumente wurden gegeneinander abgewogen und schließlich nach Aspek-
ten der Staatsraison entschieden. So diskutierte Jean Juvenal den Krieg gegen
England auch als Heilmittel für die innere Spaltung, da dieser den inneren
Zusammenhalt stärken könne. Die Ausübung von Gewalt war damit ein poli-
tisches Mittel unter anderen.

Grace especial, S. 453-456; Zur Rache: Ebd., S. 753-776 und 788. Zum Aspekt der Wut siehe
auch McGrath, Politics, S. 56-62; White, Politics, S. 138-151.
82 Vgl. McGrath, Politics, S. 56-58; Allmand, War and the Non-combatant, S. 265f.; Miller, Humil-
iation, S. 70.
83 Giovanni da Legnano, Tractatus de Bello, S. 78 (Kap. 1), Textzitat aut S. 140, Anm. 10.
 
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