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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0217
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216

IVI Problematisierungen

leid empfinde, sei kein Christ. Die vormals geehrte und gefeierte Stadt beste-
he nun nur noch aus Ruinen.^'
Andere, ebenfalls burgundisch orientierte Chronisten schilderten die Ein-
nahme der Stadt weniger ausführlich, führten aber dieselben Schrecken und
Abscheu erregenden Details an, vor allem die massenhaften Vergewaltigun-
gen und die Schändung der ReiiquienP^ Insbesondere die Schilderung des
Bourgeois liest sich ähnlich wie die Monstrelets: Die Verteidiger um Enguer-
rand de Bournonville hätten sich tapfer geschlagen, seien dann aber von den
Städtern hinterrücks angegriffen worden, so dass die Armagnacs leichtes
Spiel bei der Eroberung hatten. Diese hätten dann unbeschreibliche Übel be-
gangen, die man selbst von Sarazenen noch nicht gehört habed^ Der Horror
des Geschehens wird durch die bereits bekannten Stereotype ausgedrückt: die
Verletzung religiöser Normen (Reliquienschändung, Vergewaltigung von
Nonnen), die Transgression von Standesgrenzen (Vergewaltigung von adli-
gen Frauen durch Diener), die Missachtung gesellschaftlicher Tabus (Schän-
dung von Jungfrauen) sowie hilflose Verzweiflung der Bevölkerung (Sprünge
in den Wassergraben der Stadt) und der allerorts sichtbaren Leichen (an den
Ufern der Aisne).
Waren für Monstrelet klar die königlich-armagnakischen Krieger Schuld
an den Exzessen, fügte Thomas Basin eine für die klerikale Sicht typische
Wendung an, um das Grauen mit der Gegenwart Gottes in der Geschichte
kompatibel zu machen. Schon 1374 sei Soissons wegen seines Reichtums und
Luxus der Untergang ,wie Sodom' prophezeit worden.^ Die armagnakischen
Krieger wurden so zum Werkzeug Gottes, ihre Taten als göttliche Strafe er-
klär- und akzeptierbar. Die göttliche Gerechtigkeit habe die Unmenschlichkei-
ten und Sakrilegien jedoch nicht ungestraft gelassen: Der Großteil der (ar-
magnakischen) Krieger habe innerhalb eines Jahres die angemessene Strafe
für seine Vergehen erlitten - mit der Niederlage in der Schlacht von Azin-
court 3^
Es ist bezeichnend für die mittelalterliche Sicht auf Gewalt, dass die pro-
königlichen Chronisten die blutige Einnahme Soissons nicht leugneten, son-
dern vielmehr zu legitimieren suchten. Wenn Gewalt als Strafe gerechtfertigt
war, stellte sie kein moralisches Problem dar, das man verschweigen musste.

Pw o:dtre ii n'est point edrestiew tpu n'eMst pitie & ueoir i'orridie et tres miseradie desoiaeiow tpu/M
Jätete CM LdL utile f...J PI n'est point de memoire (jMomjMes de cdrestiens Just Ja?f st graul desroi/ en
teiies desongnes, attendM ia da:dte seigneurie iä estoient assemdiez, iestjMeiz w'i/ mirewt md remede.
Monstrelet, Chronique, Bd. 3, S. 9. Zinst et par eeste maniere/Mt ia nodie eite de Soissons, grande de
eirenite, Jbrte de iien et de mnrs, mnree de grosses toMrs et espesses, tres piantnreMse de toMS diens,
monit donoree et soiemneiiement de pinsieMrs egiises et eorps sains, desoiee et mise a rnmeMse destrne-
eion, dont ee/Mt pitie et dommage. Ebd., S. 11.
452 Journal d un Bourgeois, S. 76f. (§89-100); Memoires de Pierre de Fenin, S. 42; Basin, Charles
VII, Bd. 1, S. 26.
453 Pt disoit-on (?M'oM n'oMit one^nes parier ^ne /es Sarrasins/issent pis ^Me/irent ee:u* de Post en iadite
uiiie par ie manuais eonseii ^ni fpourj iors etait entonr ie don rot, dont domme M'osatt parier. Journal
d un Bourgeois, S. 77 (§100).
454 Basin, Charles VII, Bd. 1, S. 28. Zum Zusammenhang von ,Gewalterfahrung und Prophetie'
siehe die Beiträge im gleichnamigen Band sowie Burschei, Einleitung.
455 Basin, Charles VII, Bd. 1, S. 28.
 
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