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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0228
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21 Formen kollektiver Gewalt

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Kursierende Gerüchte, unzufriedenes Raunen und offene Rebellion lagen
für zeitgenössische Beobachter nah beieinander, vor allem beim sogenannten
Bourgeois de Paris. In seinen Darstellungen vermischen sich Gerüchte mit
(mitunter imaginären) Konspirationen und erschaffen dadurch eine Atmo-
sphäre der bedrohlichen Spannung und Angst: So habe sich 1414 unter der
Bevölkerung von Soissons Missmut gegen den burgundischen Capifaino En-
guerrand de Bournonville erhoben und man habe geplant, die Stadt während
seiner Inspektionstour den armagnakischen Belagerern auszuüefern A
In ähnlichem Duktus beschrieb Michel Pintoin, wie sich im Herbst 1380
die Pariser zu geheimen, nächtlichen Versammlungen getroffen hätten, um
getrieben von der „Lust nach Neuerungen" (cMpdüfas rorum noucadamm), dar-
über zu beraten, ob sie selbst nicht besser regieren könnten als ihre „natürli-
chen Herren" A Pintoin nutzte hier ein ganzes Bündel an Schreckensszenari-
en, um zu verdeutlichen, wie kurz man vor einem offenen Aufstand gestan-
den habe: geheime, nächtliche Treffen, der Wunsch nach Neuerungen und
schließlich Pläne zum gesellschaftlichen Umsturz - alles topische Elemente
eines (delegitimierenden) Aufstandsnarrativs, das auf emotionaler Ebene
gezielt auf kollektive Ängste rekurrierte. Den Chronisten ging es nicht um
realistische Berichterstattung, sondern darum, die moralische Verwerflichkeit
der Unruhen zu zeigen - weshalb eine differenzierte Auseinandersetzung mit
Ursachen und Forderungen der Aufständischen weder notwendig noch in-
tendiert war .27
Die Chronisten gaben einseitig die Sicht der oberen gesellschaftlichen
Schichten wieder, die einen sozialen Umsturz fürchteten. Die Ängste der Elite
wurden somit den Aufständischen als vermeintliche Intention zugeschrieben:
dass die Aufständischen bei Pintoin meinten, auf den Adel als Herrschafts-
träger verzichten zu können, ist sowohl historiographischer Topos als auch
Schreckensvision eben jener Adliger. So unterstellte man vor allem der fran-
zösischen Landbevölkerung, den JäojMes, den gesamten Adel ausrotten zu

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(§99). Speziell zur Bedeutung von Gerüchten beim Bourgeois: Beaune, Rumeur. Zur Rolle von
Gerüchten genrell: Hablot, Rumeurs; Gauvard, Rumeur [2000]; Gauvard, Rumeur [1994].
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nd rededHMdMM! pre/er dMeew deesse oidere/ur. Chronique du Religieux, Bd. 1, S. 22. Siehe auch die
ähnlich aufgebaute Schilderung einer vermeintlichen Verschwörung der Pariser gegen den
Preuof im Mai 1416 bei Monstrelet, Chronique, Bd. 3, S. 140-145. Die Formel oupiddes rcrum MO-
ueMdHrMM! geht zurück auf Sallustius, De coniuratione Catilinae, §28, 37 und 48. Zur Rezeption
der ooMUfroho Co/diMHO im Mittelalalter siehe Ribemont, Litterature.
22 Bommersbach, Gewalt, S. 78, mit Verweis auf Autrand, Charles V, S. 319. Siehe auch Gauvard,
Grace especial, S. 564—570.
 
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