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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0254
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21 Formen kollektiver Gewalt

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lurtg in Gruppen ist durchaus glaubwürdig, da sie etwa dem Umgang mit
den Schuldigen nach Aufständen entspricht (vgl. dazu S. 247f.).
Da ein Großteil der Pariser primär die Armagnacs und die Leute des Dau-
phins für den andauernden Krieg, die innere Spaltung, den gleichzeitigen
Vormarsch der Engländer sowie überhaupt die schlechte Regierung verant-
wortlich machten, wurde die Ankunft der Burgunder entsprechend gefeiert.
Dabei wurden vor allem die Häuser der nunmehr als ,Verräter' inhaftierten
Armagnacs geplündert.^ Die burgundische Position in Paris war jedoch kei-
neswegs gefestigt und ein spontaner Rückeroberungsversuch der Armagnacs
konnte nur knapp zurückgeschlagen werden. Die Stimmung blieb ange-
spannt - dass die Pariser aber ein „Blutdurst"^" überkommen habe, dürfte als
Erklärung für die folgenden Massaker an den Gefangenen kaum ausreichen.
Die Quellen selbst bieten für die Ausschreitungen ganz unterschiedliche Er-
klärungen: Nach Michel Pintoin sei das Volk von der Angst beherrscht wor-
den, nun für die vorausgegangenen Plünderungen bestraft zu werden und
womöglich ihre jeweilige Beute zurückgeben zu müssen A' Der Bourgeois und
Clement de Fauquembergue führten beide die Sorge der Pariser an, die Stadt
könne erneut von den Armagnacs eingenommen werden, die man vor den
Toren der Stadt wusste W Monstrelet berichtete, die Pariser hätten die Freilas-
sung der Gefangenen befürchtet, die C(/ro/n'ijMe dzfe des Cor&Bers überlieferte
sogar das Gerücht, man habe die Häftlinge bewaffnen wollen.^ Aus diesem
Klima der Angst heraus stürmten die Pariser in der Nacht des 12. Juni die
Gefängnisse der Stadt und ermordeten zwischen 1500 und 2000 vermeintliche
Armagnacs.'^ Die Quellen berichten übereinstimmend, dass man sich primär
gegen die Armagnacs wandte, zugleich aber auch viele Pariser die unüber-
sichtliche Situation nutzten, um private Rechnungen zu begleichen.^ Die
hetzerische und dehumanisierende Propaganda des Bürgerkriegs zeigte nun
ihre Wirkung: Um jemanden ungehindert töten zu dürfen, reichte es tatsäch-
lich aus, ihn als ,Armagnac' zu bezeichnen.'^

Chronique du Religieux, Bd. 6, S. 236-242; Journal d un Bourgeois, S. 108f. (§190); Monstrelet,
Chronique, Bd. 3, S. 261-263.
i8° So Schnerb, Armagnacs, S. 251: „La soif de sang s'empare des Parisiens."
i8i Chronique du Religieux, Bd. 6, S. 244.
i87 Journal d un Bourgeois, S. 117 (§201); Journal de Fauquembergue, Bd. 1, S. 135-137.
183 Monstrelet, Chronique, Bd. 3, S. 269-271; [Chronique dite des Cordeliers], S. 259.
184 Schnerb, Armagnacs, S. 251. Die Zahl von 1500 Toten wird durch historiographische Berichte
gestützt, sowohl von Pintoin (1500 Tote) als auch vom Bourgeois (1518 Tote), Chronique du
Religieux, Bd. 6, S. 248; Journal d un Bourgeois, S. 118 (§201). Monstrelet, Chronique, Bd. 3,
S. 269f., berichtet von 1600 Toten, der Journal de Fauquembergue, Bd. 1, S. 137, von 800.
Juvenal des Ursins, Histoire, S. 541, schätzt die Zahl der Opfer auf 1600-2000, d'Avout, Querel-
le, S. 268 übernimmt die Zahl von 2000. Gilles le Bouvier berichtet von 3000 Toten, Les chro-
niques du Roi Charles VII, S. 87, die [Chronique dite des Cordeliers], S. 260, sogar von 5000.
485 Juvenal des Ursins, Histoire, S. 542; Les chroniques du Roi Charles VII, S. 85-87. Die [Chroni-
que dite des Cordeliers], S. 259f., berichtet explizit, es seien Unschuldige getötet worden,
Monstrelet, Chronique, Bd. 3, S. 270, schreibt, auch Bourguignons seien getötet worden.
486 Car sc MMg domme/usf im/ de parode o:i dejeM, o:i ipie on hü densf urgent, son ennewi/ ieA?sod h'er
soMhz Mwdre d'Huoir esfe de ia parüe du Roi/ et du eonfe d'RrnügiMC. Les chroniques du Roi Charles
VII, S. 87; ähnlich Juvenal des Ursins, Histoire, S. 542; [Chronique dite des Cordeliers], S. 259f.
 
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