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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0255

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254

IVI Problematisierungen

Die Wut der Bevölkerung, so scheint es, richtete sich vor allem gegen Ber-
nard von Armagnac, dessen Körper nach seiner Ermordung geschändet wur-
de: Monstrelet berichtet, man habe ihm „aus Spott" in der Form des armag-
nakischen Bandes ungefähr zwei Daumen breit die Haut abgezogenW Das
Häuten in Form des Parteizeichens der weißen Schärpe wird als Spottgeste
erklärt, dürfte aber zugleich der Fegitimierung der Tötung gedient habe: Ana-
log zu den Spiegelstrafen wurde dem Gegner sein Vergehen auf den Feib
geschrieben, das in diesem Fall darin bestand, der , Armagnac' schlechthin zu
sein.iss Thomas Basin, der seinen Bericht gut 50 Jahre nach den Ereignissen
verfasste, berichtete dagegen, man habe dem Grafen das Andreaskreuz als
burgundisches Zeichen in die Haut geritzt.'^ Dies wäre dann als Siegesgeste
zu deuten, mit der dem Opfer das gegnerische Parteizeichen aufgezwungen
wurdeA" In beiden Versionen wurde der Körper des CotmAaHe verstümmelt,
indem man ihm die hoch ideologisierten und omnipräsenten Parteizeichen
unabänderlich einschrieb. Die nackten Körper Bernards und anderer wurden
dann drei Tage lang zur Schau gestellt beziehungsweise lagen auf den Stra-
ßen „als wären sie Hunde oder Schafe"^ - ein Ritual, das aus dem Umfeld
von Aufständen und Strafriten bekannt ist. Die öffentliche Zurschaustellung
diente der Bekanntgabe und damit der Fegitimierung der Tötungen: „Jeder
der wollte, konnte kommen, sie ansehen und sich von ihrem Tod überzeu-
gen."^
Dass man den Toten womöglich sogar eine christliche Beerdigung verwei-
gerte, wie mehrere Chronisten berichten, wäre auf zwei Arten deutbar: Ent-
weder schlossen die Pariser die Armagnacs damit symbolisch aus der christli-
chen Gemeinschaft aus, oder die Schilderung zielt auf die Diskreditierung der
Bourguignons, die als so grausam dargestellt wurden, ihren Gegnern sogar
diese christliche Selbstverständlichkeit zu verweigern.^ Die Kontexte, in
denen dies erwähnt wird, lassen die zweite Variante plausibler erscheinen
(siehe dazu S. 394f.).
Erst Mitte Juli kam der Herzog von Burgund selbst mit 4500 Mann nach
Paris. Die ,Säuberung' der Stadt von Armagnacs wurde nun zielgerichteter
und unblutiger fortgesetzt, vor allem durch die Besetzung wichtige Ämter

iS? Monstrelet, Chronique, Bd. 3, S. 271; ähnlich auch Juvenal des Ursins, Histoire, S. 542.
188 Siehe S. 251, Anm. 168. Dazu Slanicka, Feindbilder, S. 113, die das Einschneiden des armagna-
kischen Bandes in die Körper der Opfer als nachträgliche Legitimierung ihrer Tötung sieht.
189 Basin, Charles VII, Bd. 1, S. 54-58.
190 Slanicka, Feindbilder, S. 114, argumentiert. Basin habe aus monarchischer Perspektive die
Bourguignons für das Massaker verantwortlich gemacht und das Burgunderkreuz so als „Täte-
ridentifikation" gebraucht.
191 DoUHMf d?HCMM0 pÜSOMS, HUHMf /Mi (ÜX i?OMrOS & jOMM OidOMi iOMS OMiHSSOS, commo s;
^MSSOMi dn'oMS OM moMioMS. Journal d'un Bourgeois, S. 117 (§201).
197 F2 M Ts doli ÜMSCMM uooir ^M; OM auoli uoTMio oi dosir, poMr osiro HssoMro o HcorTMO & T wort
dl'coMÜ. [Chronique dite des Cordeliers], S. 259; Verweis bei d'Avout, Querelle, S. 268. Zur
Chronik siehe Oschema, Chronique dite des Cordeliers. Belege zur Zurschaustellung: Chro-
nique du Religieux, Bd. 6, S. 248-250; Journal d'un Bourgeois, S. 117 (§201); Monstrelet, Chro-
nique, Bd. 3, S. 271.
198 Chronique du Religieux, Bd. 6, S. 248-250; Monstrelet, Chronique, Bd. 3, S. 271; Journal de
Fauquembergue, Bd. 1, S. 137; Juvenal des Ursins, Histoire, S. 524.
 
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