Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0281

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
280

IVI Problematisierungen

Gauvard fanden nur 36 % der Verbrechen in geschlossenen Räumen statt,
zudem eher in Herbergen und Kneipen als in Privathäusern - was wiederum
daran liegen mag, dass häusliche Gewalt kaum Niederschlag in Begnadi-
gungsbriefen fand. Die meisten nachweisbaren Verbrechen jedoch spielten
sich in der Öffentlichkeit ab, auf Plätzen und Straßen: „Man schlug sich prak-
tisch gut wie überall"^, so Chiffoleau.
Grundsätzlich betont die Forschung, dass in der Stadt traditionelle Solida-
ritätsbande, wie sie aus ländlichen Gebieten bekannt sind, abnahmen. Diese
, Entwurzelung' ist zumindest teilweise auf die erhöhte Mobilität durch den
Krieg zurückzuführen, sei sie freiwillig unternommen oder durch Flucht er-
zwungen worden.^ Während Geremek enge soziale Bindungen unter Krimi-
nellen betonte, sah Gauvard die Alltagskriminalität allerdings weniger von
derart professionellen Kriminellen geprägt.^
Dieser knappe Einblick in die Forschungsergebnisse zur Alltagsgewalt
zeigt, dass die bisherigen Ansätze sich ihrem Thema stark aus sozial-
geschichtlich-quantitativer Perspektive genährt haben. Um stärker die mit
einzelnen Akte verbundenen Vorstellungen in den Blick nehmen zu können,
sollen im Folgenden idealtypisch zwei Formen interpersoneller Gewalt ge-
genübergestellt werden: Einerseits das Duell, das sowohl Ausdruck adligen
Ehrgefühls als auch Mittel der Konfliktlösung war, andererseits exzeptionelle
Morde unter Adligen, die in zeitgenössischen Chroniken und Traktaten kont-
rovers diskutiert wurden.

311 Der der interpersonellen Gewalt: und NUm ras
„Man sagt, dass man nicht um den trauern soll, der ohne Grund getö-
tet wurde, sondern um den, der ihn getötet hat. Derjenige, der unge-
rechterweise tötet, ist verdammt."!?
Dieser Sinnspruch aus den Düz moranlv Guillaumes de Tignonville^ macht
gegenüber dem Mordverbot der Bibel eine für das Mittelalter entscheidende
Präzisierung: Ungerecht ist vor allem eine grundlose Tötung - was die Frage
nach begründeten Tötungen, beziehungsweise über greifender die Frage nach

14 ,,On se bat un peu partout." Chiffoleau, Violence, S. 352. Siehe dazu Gauvard, Grace especial,
S. 281-288; Chiffoleau, Les justices, S. 140-144; Chiffoleau, Violence, S. 350f.
15 Zum Einfluss des Krieges auf Mobilität und Kriminalität: Gauvard, Grace especial, S. 524—545;
Cohen, Hundred Years' War, S. 120-122; Gauvard, Violence citadine, S. 114—1118; Mu-
chembled, Violence, S. 70-105, 183-200; Chiffoleau, Les justices, S. 116-129; Chiffoleau, Vio-
lence, S. 347f., 366-369; Geremek, Marginaux, S. 11-13, 24.
i5 Geremek, Marginaux, S. 123-144; siehe dazu Gauvard, Grace especial, S. 935.
1? La de ;*Mge MdhedemeMf eMhe les ul/s cf /cs morfs. Ef d'sk OM Me doif podf pioMrer poMr eeiMi/ tpu a
esfe oeds saus CHMSc; weis OM piorer poMr ediMi/ tpu Pa oeds; edM; (pd oedsf iM/MsfemeMf, sc
&mpMC. Ditz Moraulx, Eder, Tignonvillana inedita, S. 944.
i5 Guillaume, zwischen 1360 und 1370 geboren, war Staatsrat und Kammerherr Karls VI., und
1401-1408 Preuof von Paris. Seine Sammlung moralischer Lehrsätze ist recht sicher auf 1402 zu
datieren; vgl. Eder, Tignonvillana inedita, S. 82-892.
 
Annotationen