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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0429

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Zwischenfazit: Topik und Expressivität

Die Narrative, anhand derer Ideaie und Devianzen in den Quellen dargestellt
wurden, zeichneten sich einerseits durch Stereotypie und andererseits durch
eine hohe Expressivität aus, wobei dies keineswegs als Gegensatz zu ver-
stehen ist. Vielmehr ergänzten sich die Motive gegenseitig und boten mittel-
alterlichen Autoren eine Vielzahl an narrativen Mustern, mit denen sie so-
wohl Personen charakterisieren als auch Wertvorstellungen inszenieren konn-
ten. Weitestgehend stereotyp, also durch formelhafte, über die einzelne Schil-
derung hinausweisende Wendungen, wurden etwa Helden oder Schurken
beschrieben. Sie stellten weniger individuelle Charaktere dar, sondern ver-
körperten oder bedrohten durch ihr Wesen beispielhaft Werte und Tugenden.
Sowohl für positiv konnotierte Beschreibungen ,schöner Waffentaten' als
auch für auf Schrecken angelegte Gewaltzuschreibungen standen vielfältig
und flexibel einsetzbare Stereotype zur Verfügung, mit denen gezielt positive
oder negative Assoziationen abgerufen werden konnten.
Strukturell gesehen wurden die spezifischen Gruppen zugeschriebenen
Stereotype durch expressive Beschreibungen individueller Erlebnisse oder
Taten ergänzt beziehungsweise kontrastiert. Für eine positive Darstellung
konnten gegenüber dem kollektiven und anonymen Sterben auf dem
Schlachtfeld individuelle Tode zur exemplarischen Stilisierung heldenhaften
Verhaltens genutzt werdend negativ konnten dagegen die formelhaften Be-
schreibungen ritterlicher Ruhmestaten durch die Schilderung gezielter Ver-
fehlungen Einzelner gebrochen werden. Insofern lässt sich in den Narrativen
historiographischer Quellen ein Wechselspiel zwischen sich wiederholenden
Gruppencharakterisierungen und einzelnen, ausdrucksstarken Episoden er-
kennen, das in seiner Wirkung an den Wechsel zwischen Totale und Groß-
aufnahme in modernen Filmen erinnerte
Das Motiv des Blutes hat sich als hochgradig symbolisch aufgeladen er-
wiesen: Der Kontakt mit Blut galt als kontaminierend und verschmutzend.
Das aus der Kreuzzugschronistik bekannte Bild der Reinigung durch Blut-
vergießen hatte sich im spätmittelalterlichen Frankreich zu einer Reinigung
von Blut gewandelt. So konnte der Hinweis auf Blut gezielt zur narrativen
Diffamierung bestimmter Personen oder einzelner Handlungen herange-
zogen werden. Gegenüber bildlichen Darstellungen, in denen vergossenes
Blut in großen Mengen gezeigt wurde, genügte in der französischen Historio-
graphie des Spätmittelalters mitunter ein einziger Tropfen Blut, um ein subti-
les Bild des Schreckens zu evozieren.

' Nach Prietzel, Tod, S. 89, dienen Schilderungen einzelner Taten der Identifikation des Lesers,
kollektive Erfahrungen dagegen primär der Erzählung von Ereignissen und Handlungen.
2 Hickethier, Film, S. 54-58 und 113f.; Mikos, Film, S. 184-190 und 215-218.
 
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