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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0444

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VIII Schlussfolgerungen:
Spannungsfelder der Gewalt

Was verbindet die Jaay/enL von 1358 und den Mord an Ludwig von Orleans
1407? Wo liegt der gemeinsame Charakter des .Kampfes der Dreißig' von
1351 und der Hinrichtung eines jungen Mannes in Brüssel ein Jahrhundert
später? Aus heutiger Sicht wölbt sich das Konzept der Gewalt als strukturel-
les Merkmal über alle Fälle, in denen körperliche Kraft mit dem Ziel der ..Ver-
letzung der körperlichen [...] Integrität mindestens einer Person und im wei-
testgehenden Fall auch auf deren Vernichtung"! ausgeübt wird. Die heute
grundsätzlich negative Konnotation des Gewaltbegriffs bewirkt in seiner
Anwendung auf das Mittelalter dessen Verfinsterung: Die Vielzahl und Dau-
er der kriegerischen Auseinandersetzungen. Aufstände und sonstigen Kon-
flikte lässt die spätmittelalterliche Geschichte Frankreichs als eine Zeit ..ext-
remer Brutalität"^ erscheinen. Auf den ersten Blick scheinen die Quellen eine
solche Einschätzung zu bestätigen, galt doch Frankreich den Zeitgenossen
selbst als ..Spelunke und Wald voller Mörder, als eine Höhle des Verrats."^
Der Verweis auf die Problematisierung von Gewaltphänomenen durch die
Zeitgenossen kann die konzeptionelle Schwierigkeit einer historischen Analy-
se von Gewalt jedoch nicht überbrücken: Die Gewalttätigkeit und Brutalität
des Mittelalters liegt eben nur für den modernen Beobachter unterschiedslos
in Morden. Hinrichtungen und Schlachten begründet.
Der von einer modernen Definition geleitete Blick auf Gewalt im spätmit-
telalterlichen Frankreich hat eine Vielzahl von Handlungsformen beleuchtet,
die aus mittelalterlicher Sicht keinem übergreifenden Phänomen zugeordnet
wurden. Das abstrakte Konzept der .Gewalt' war den Zeitgenossen unbe-
kannt und die eingangs genannten Ereignisse wurden in der mittelalterlichen
Vorstellungsweit ganz unterschiedlichen Bereichen zugeordnet - und dies
nicht einmal eindeutig. Vielmehr wurde über die rechtliche Legitimität und
den moralischen Gehalt von Kriegszügen. Tötungen und Hinrichtungen kon-
trovers gestritten. Für den Historiker eröffnet sich dadurch ein vielschichtiges
Panorama von Ambivalenzen und Widersprüchen, das zusammenfassend
skizziert werden soll.

' Siehe S. 35. Anm. 90. mit Verweis auf Melville. Exkurs. S. 121
^ „Le monde qu'il [Karl VII.. CM] connait est d'une extreme brutalite. Meurtres. justice impi-
toyable qui pend. noie. decapite et depece apres des seances de torture. violence extreme des
batailles. ou le corps ä corps oblige ä frapper le plus sauvagement possible. laissant d'atroces
blessures. comme en temoigne l'examen des squelettes par l'archeologie moderne." Minois.
Charles VII. S. 705. Siehe zur Diskrepanz von historischen Vorstellungen und modernen Maß-
stäben auch Gauvard. Conclusion. S. 374; Gauvard. Violence. S. 1202. Siehe auch Meyer-
son/Thiery/Falk. Introduction. S. 5f.
3 Chastellain. Oeuvres. Bd. 1. S. 36f.. Textzitat auf S. 123. Anm. 10.
 
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