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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0012

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II Hinführung

Frühjahr 1431: Orleans ist befreit und Karl VII. in Reims zum König von
Frankreich gekrönt worden; Jearme d'Arc aber ist in englische Gefangen-
schaft geraten und muss sich nun in Rouen den Fragen der Inquisition stel-
len. Dabei kommt der Inquisitor auch auf das Schwert und das Banner zu
sprechen, mit denen Jeanne gegen die Engländer ins Feld gezogen war. Auf
die Frage, was ihr wichtiger sei, ihr Schwert oder ihr Banner, antwortet Jean-
ne, dass ihr das Banner 40 Mal lieber sei - weil sie niemanden habe töten
wollen. Der Inquisitor hakt nach: Ob sie, wenn sie statt des Banners das
Schwert getragen hätte, mehr Menschen getötet hätte, ob die Versuchung zu
töten dann größer, vielleicht zu groß gewesen wäre? Jeanne wird unsicher,
sagt, sie habe niemals getötet, muss aber zugeben im Kampf ihr Schwert ge-
tragen zu haben. Eindringlich treibt der Inquisitor sie in die Enge, spricht
lauter, schreit fast, gestikuliert: Sie wolle die Inquisition also glauben ma-
chen, dass sie mitten im Kampf, das Schwert über sich schwenkend, um ihr
Leben kämpfend, nie jemanden getötet habe? Sie verneint.
Zurück im Gefängnis hält Jeanne Zwiegespräch mit einem alten Mann in
dunkler Kutte, ihrem personifizierten Gewissen. Sie versucht sich zu recht-
fertigen, sagt, sie habe nur getötet, um sich zu verteidigen, habe aber niemals
Freude beim Töten empfunden! In einer Rückblende auf das Kampfgesche-
hen führt ihr das eigene Gewissen allerdings das Gegenteil vor Augen: Wir
sehen Jeanne wütend, ekstatisch... töten.
Mit der Thematisierung des Tötens als moralischem Problem, gar mit dem
Tabu der Freude an Gewaltausübung aktualisiert der französische Regisseur
Luc Besson in seiner Jeanne d'Arc-Verfilmung von 1999' das Geschehen des
15. Jahrhunderts für das späte 20. Jahrhundert und berührt dabei sensible
Bereiche - zumindest in unseren Augen. Die Prozessprotokolle bestätigen,
dass auch der Inquisitor des Jahres 1431 nach dem Wert von Schwert und
Banner für Jeanne fragte und sie in der Tat antwortete, ihr sei das Banner 40
Mal lieber, weil sie niemanden habe töten wollen. Dann aber wechselte er das
Thema und fragte nach der Menge der ihr anvertrauten Soldaten, nach ihrem
Stützpunkt vor Orleans, nach Kampftaktiken3 Das Töten und die mögliche
Preude daran waren für die mittelalterliche Inquisition nicht von Interesse -
zum drängenden Thema werden sie erst in den Augen des modernen Be-
trachters.
Durch die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, das allein Europa zwei
Weltkriege, den Holocaust und unzählige Bürgerkriege brachte, ist Gewalt
zum Problem geworden.^ Die Begeisterung, mit der man 1914 in den Ersten

i The Messenger: The Story of Joan of Are (1999).
^ Proces de condamnation, Bd. 1, S. 78f.
3 Siehe dazu Reemtsma, Vertrauen; Münkler, Wandel, S. 147, sowie Hirsch, Notwendige Gewalt.
 
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