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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0319

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318

IVI Problematisierungen

411 Der fm%gz?t%Z7T der Gerechtigkeit
„Wer richtet die Fürsten?"? so fragte Philippe de Commynes in einer nach-
denklichen Passage über tyrannische Könige. Die Frage ist durchaus berech-
tigt^ verstand sich insbesondere der französische König doch als höchster
Souverän seines Reiches und als von Gott eingesetzter Herrscher. Damit war
er auch für die Einhaltung und Durchsetzung der Gerechtigkeit (/Msüce) ver-
antwortlich, die im Denken der Zeit Vorbedingung für jeglichen Frieden war.s
Dem König als Garant der Gerechtigkeit oblag es daher, Gewalt auszuüben -
auch im physischen Sinn, indem er richtete und straftet
Die Herausforderung für den König lag darin, die Parteien zu versöhnen
und nicht etwa seine Machtstellung durchzusetzen. Dieser Zwiespalt wurde
deutlich, als die Fürsten 1388 über die Frage stritten, wie man mit dem Her-
zog der Bretagne verfahren sollte. Dieser hatte zuvor Olivier de Clisson ge-
fangen gesetzt, wofür ein Teil der Fürsten ihn bestraft sehen wollte, während
andere sich beim König für Gnade einsetzten. Vor allem Olivier selbst war
nur schwer zu einer Versöhnung zu bewegen, die letztlich jedoch zur Kon-
fliktlösung nötig war und schließlich auch öffentlich stattfand.'" Ein hartes
Vorgehen gegen einen mächtigen Fürsten wäre weder gegen diesen noch
gegen den Willen der anderen Herzoge durchsetzbar gewesen. Deses Beispiel
zeigt, dass die Art und Weise, wie Gerechtigkeit im Spannungsfeld zwischen
Gnade und Härte umgesetzt werden sollte, durchaus umstritten war und im
Einzelfall ausgehandelt werden musste.""
Gegenüber einer härteren Justiz, wie sie z. B. noch der Vater Oliviers, Oli-
vier III. de Clisson, mit seiner standrechtlichen Hinrichtung 1343 zu spüren
bekommen hatte, regte sich Ende des 14. Jahrhunderts zunehmend Kritik."? So
formulierte zum Beispiel Evrard de Tremaugon 1378 im Sotzye du Vergzer, die
Justiz dürfe nicht zu rigoros sein, sondern müsse dem jeweiligen Verbrechen
entsprechen - die Fürsten sollten sich davor hüten, grausam zu sein. Das Tö-

? QM; sorg to jMgo Philippe de Commynes, Memoires, S. 414 (V,19). Zuvor ist von dengraws
pnncos ct pnncossos die Rede. Siehe zum Gerechtigkeitsdiskurs grundlegend Schulte, Oh roy; zu
verschiedenen Rechtsvorstellungen im Bürgerkrieg siehe Gauvard, Grace especia), S. 950.
s Gauvard, Violence et ordre public, S. 92f.; Guenee, Meurtre, S. 101. Zum Begnadigungsrecht
des Königs Gonthier, Chatiment, S. 198-204. Zur frühmittelalterlichen Fundierung dieses Kon-
zepts Schmoeckel, Rex.
9 Christine de Pisan, Livre de la paix, S. 96 (11,6). Siehe dazu Gauvard, Introduction, S. 8; Le
Ninan/Reno, Charles V; Schulte, Oh roy, S. 210f.; Kintzinger, Westbindungen, S. 348-359; Kry-
nen, Ideal, S. 184—199. Zur Diskussion um Gerechtigkeit' siehe Naegle, Lange Wege.
Chronique du Religieux, Bd. 1, S. 508-512. Siehe dazu Henneman, Clisson, S. 121-125. Ähnlich
auch beim Prozess gegen den Grafen von Perigord 1398, Chronique du Religieux, Bd. 2, S. 648.
ii Schon Nicolas de Clamanges, Opera omnia, Bd. 1, S. 41f. (De Zaps;; et reparatione iMSÜfMe, Kap. 2)
wog die Tugenden der Milde (eteweMÜH) und der Strenge (rigor) gegeneinander ab.
i? Olivier III. de Clisson wurde von König Philipp VI. des Verrats beschuldigt, fühlte sich aber
aufgrund eines Waffenstillstands geschützt und erschien so im Sommer 1343 zu einem Turnier,
wurde aber sofort verhaftet und bald auf Befehl des Königs, jedoch ohne formellen Prozess,
enthauptet, Chronique normande, S. 59-61; Les grandes chroniques de France, Bd. 9, S. 241f.;
Froissart, Chroniques (liv. I & II), S. 452f. (1,202). Siehe dazu Henneman, Clisson, S. 26; Cuttier,
Law, S. 146f. Zu zeitgenössischer Kritik an Todesurteilen (anhand deutscher Beispiele) siehe
Israel, Hinrichtung, S. 673-686.
 
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