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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0031

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30

III Orientierung

Gewaltausübung wird nur in speziellen Fällen als negativ angesehen, eindeu-
tig negativ konnotierte Begriffe wiederum beschränken sich in ihrer Bedeu-
tung nicht auf physische Kraftausübung. , Gewalt' in unserem Verständnis ist
also nicht nur ein Thema mit besonderer aktueller Relevanz, sondern fügt sich
in die Reihe der Begriffe ein, die sich auf das Mittelalter übertragen als Ana-
chronismen erweisen.^

112 Die moderne Perspektive
Bevor diese Arbeit jedoch wegen konzeptioneller Fahrlässigkeit ein vorzeiti-
ges und abruptes Ende findet, soll ein zweiter Anlauf genommen werden:
Das moderne Konzept der Gewalt hat zwar keine begriffliche Entsprechung
im Mittelfranzösischen, die entsprechenden Handlungsstrukturen zeichnen
sich dafür aber durch eine kaum zu überschätzende Präsenz in den Quellen
aus. Wenn also im Folgenden von ,Gewalt' in Bezug auf das Mittelalter ge-
sprochen wird, dann als kontrollierter Anachronismus^ mit der Zielsetzung
eines besseren Verständnisses jener mittelalterlichen Handlungsformen, die
wir unter dem Begriff ,Gewalt' zusammenfassen. Um diese Aufgabe in An-
griff nehmen zu können, muss zuvor allerdings präzisiert werden, was unter
,Gewalt' in moderner Perspektive verstanden wird. Im Folgenden werden
daher einflussreiche Theorien und Modelle knapp vorgestellt, um auf ihrer
Grundlage zu einer Arbeitsdefinition des Gewaltbegriffs zu gelangen.

Wissenschaftliche Zugänge
Die Idee der Gewalt als anthropologische Konstante wurde vor allem von
Wolf gang Sofsky (1996) vertreten. Das menschliche Zusammenleben in Ge-
sellschaften sah er durch die Erfahrung von Gewalt bedingt, wobei jede Form
der Herrschaft wiederum selbst auf Gewalt beruhe: „Das Bajonett gehört zu
ihrer Grundausstattung. "6° Auch Rene Girard (1972, 2002) und Walter Burkert

leg, dass ocd&rc oder inhaltlich das heutige Konzept der ,Gewalt' treffen, bleibt Brown
schuldig, vgl. Brown, Violence, S. 6f. Ähnlich: Skoda, Medieval violence, S. 29-33. Siehe dazu
auch die Analyse der (nominalen) Worte für Verbrechen' bei Gauvard, Grace especial, S. 111-
129, sowie Guenee, Meurtre, S. 11-13. Skoda, medieval violence, S. 3, hadert in ihrer Monogra-
phie mit der unserem Gewaltbegriff nicht entsprechenden mittelalterlichen Lexik und moralis-
chen Zuschreibungen ihrerseits: „Yet although these phenomena [chivalric violence, CM] were
not encompassed by the medieval French word ,violence', they were part of a common phe-
nomenon of physical brutality and contributed to the same discursive framework. [...] And
whilst the nobles also carried out illicit brutality of staggering cruelty, it is the blows struck by
the ordinary townsmen and women [...] which captures our attention here."
58 Siehe dazu jüngst Schmieder, Gewaltbewältigung, S. 420f., sowie Schultze, Einführung, S. lOf.
59 Zum Konzept des kontrollierten Anachronismus' siehe von Moos, Das Öffentliche, S. 9f.:
„Nicht der Anachronismus an sich, sondern der unbewusste, naive Umgang mit ihm behindert
das Verständnis; der kontrollierte hingegen kann es fördern."
80 Sofsky, Traktat, S. 14. Kritisch dazu Nedelmann, Gewaltsoziologie, S. 68-70; vgl. Braun/
Herberichs, Einleitung, S. 8f. Grundlegende Ähnlichkeiten mit Sofskys Konzept weist die Ge-
walttheorie Georges Batailles auf, die Gewalt als in der Natur des Menschen angelegt und
 
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