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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0285

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284

IVI Problematisierungen

allem als Angelegenheiten angesehen, die man auf persönlicher Ebene beile-
gen konnte, durch eine Strafzahlung, durch Friedensvermittlung oder Begna-
digung. Mit Blasphemie, Vergewaltigung und Infantizid aber waren kollekti-
ve Werte betroffen, deren Garant der König war^ - weswegen etwa bei Ver-
gewaltigungen unterschieden wurde, ob eine Jungfrau, eine verheiratete Frau
oder eine Prostituierte das Opfer war (letzteres ist wegen der als unehrenhaft
angesehenen Tätigkeit in den Akten kaum je als Verbrechen zu fassen) ^ Sen-
sibel war die Gesellschaft vor allem gegenüber moralisch-religiösen Tabu-
brüchen, ab dem 14./15. Jahrhundert zunehmend auch gegenüber Verbrechen
gegen den König und das Reich, den sogenannten Majestäts verbrechen.""
Verbrechen und Kriminalität fanden nach den Analysen vor allem Gau-
vards nicht in einer durch Gewalt abgestumpften Gesellschaft statt, auch war
Gewalt keineswegs das Proprium der Marginalisierten und Kriminellen. Viel-
mehr situierte sich die alltägliche Gewalt in der Mitte der Gesellschaft und
zeigte sich als typische und vor allem allgemein akzeptierte Reaktion auf die
Verletzung spezifischer Werte, sei es das individuelle Ehrgefühl, kollektive
sexuelle Tabus oder religiöse Bereiche."?

312 Zweikämpfe und Duelle
Im Gegensatz zu Tötungen enden Duelle nicht zwangsläufig tödlich und
zeichnen sich vor allem durch ihren symmetrischen Charakter aus: Johannes
von Fegnano definierte Duelle als „körperlichen Kampf zwischen zwei Per-
sonen, von beiden gewollt.""" Entsprechend dem beiderseitigen Einverständ-
nis zielte die gesamte Anlage des Zweikampfs darauf, gleiche und faire Vo-
raussetzungen zu schaffen, wobei die Bedeutung des Duells als Gottesurteil
in der Forschung umstritten ist."" Der Kampf musste tagsüber und zu einer
verabredeten Uhrzeit stattfinden. Beide Beteiligten mussten im Normalfall
selbst an treterd" und durften weder betrügen noch Magie einsetzen, um die
Symmetrie und den möglichen göttlichen Einfluss nicht zu verfälschen. Der
Herausgeforderte durfte die Waffen wählen, wobei die Adligen zu Pferd
kämpften und vor allem Schwerter, Rüstungen, Schilde und Speere einsetz-
ten. Nicht-Adlige kämpften zu Fuß mit Stöcken, Schilden und einer mantel-

M Ebd., S. 797.
33 Ebd., S. 813-815; Gonthier, Chätiment, S. 34-38.
33 Gauvard, Grace especial, S. 846f.; zum Majestätsverbrechen ebd., S. 832-846.
37 Ebd., S. 935-939.
33 Dud/HWi csf pMgMH corpomüs Nnc NA' AforHWi. Giovanni da Legnano, Tractatus de
Bello, S. 175 (§169).
33 Neumann, Zweikampf, S. 19-21 und 87f.; Dinzelbacher, Das fremde Mittelalter, S. 27-102, bes.
31-33; Barthelemy, Chevaliers, S. 225-260 (v.a. zum Hochmittelalter); Bartlett, Trial, S. 103-126;
Becker, Gottesurteil. Zu Duellen im frühneuzeitlichen Frankreich siehe Geifes, Duell.
40 Bonet, Arbre, S. 227f. (IV,113) und 230 (IV,115). Zu Stellvertreterkämpfen siehe Neumann,
Zweikampf, S. 183-191. Jean Juvenal schildert zum Jahr 1398 einen Stellvertreterkampf:
Guillaume Marcille ließ sich, weil er sehr alt war, vom Bastard du Plessis vertreten, Juvenal des
Ursins, Histoire, S. 416.
 
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