Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0093

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
31 Obrigkeitlich-zentralisierend

Die Sündhaftigkeit der Menschen hatte Herrschaft nötig gemacht und da
diese von Gott eingesetzt wurde, schuldeten die Menschen ihr Gehorsam/
Gegenüber anderen Gesellschaftsgruppen hatte der König eine recht klar
definierte und unangefochtene Position: Er verkörperte die göttlich legitimier-
te Herrschaft auf Erden und wurde durch den sttcrc, die Königsweihe in der
Kathedrale von Reims, über alle anderen Fürsten erhoben/ Er war für das
Wohlergehen des Reiches verantwortlich und durfte beziehungsweise musste
dafür auch Gewalt ausüben. Voraussetzung für gute Regierung aber waren
Einigkeit und Gehorsam der Menschen.

Zuschreibungen & Erwartungen
Die Herausforderung für die französischen Könige des Spätmittelalters lag
nicht so sehr darin, ihre herausgehobene Stellung theoretisch zu begründen,
sondern sie praktisch durchzusetzen. Viele Konflikte des 14. und 15. Jahr-
hunderts hatten ihre Ursache nicht zuletzt in den Auseinandersetzungen um
Privilegien und Rechte zwischen dem Königtum einerseits und der zu Unter-
tanen werdenden Bevölkerung aus Adel, Städten und Landbevölkerung an-
dererseits Als sich der Konflikt zwischen den Herzogen von Orleans und
Burgund Anfang des 15. Jahrhunderts verschärfte, hielt Jean Gerson 1405 eine
Rede unter dem Titel Vzutd rex, in der er die Fürsten wieder auf das Königtum
einzuschwören versuchte. Er vergleich das Reich mit einem Organismus und
argumentierte, dass weder der König als Kopf noch die Gesellschaft als Kör-
per ohne einander leben könnten/ Mit Jean Juvenal könnte man hinzufügen,
die Glieder seien ja überhaupt dafür da, den Kopf zu schützen/ Michel Pinto-
in zeichnete diese Metapher in seiner Chronik noch schärfer: Es seien die ak-
tuellen Verbrechen beziehungsweise die sich selbst verletzenden Glieder des
Körpers, wegen denen der König krank sei und leide, so ließ der Chronist
wiederholt ,weise' Berater die Krankheit Karls VI. deuten/ König und Reich
verschmolzen zu einem organischen Ganzen, das auf Leben und Tod anei-
nander gebunden war. Der Streit zwischen den Herzogen wurde damit zu
einem für den König (und damit das Reich) lebensbedrohlichen Phänomen

' Guillaume de Tignonville listet zu Beginn seiner Ditz worHMÜ 16 Tugenden auf, deren dritte
der Gehorsam ist: La t&rcc otvir HM roi/ et HMX pn'Mccs, ies^Meix D&M H mis en terre poMr sdgMCMr&r et
HMfoir pMissHMee SMr ie peupte. Eder, Tignonvillana inedita, S. 908. Siehe auch bei Gerson, Oeuv-
res, Bd. 7/2, S. 1140 (VifHt rex (1405)). Siehe dazu Kamp, Gewalt (Abschnitt 1).
^ Zum SHcre siehe Beaune, Sacre; Jackson, Vivat rex.
3 Beaune, Roi, bes. S. 1234.
^ Die Körpermetapher durchzieht Gersons ganze Rede, siehe insbesondere Gerson, Oeuvres,
Bd. 7/2, S. 1156 und 1160 (VDnt rcx (1405)).
3 Juvenal des Ursins, Ecrits, Bd. 2, S. 240f. (Vc/v wen).
^ Siehe z. B. Chronique des regnes, Bd. 2, S. 530-532; Bd. 5, S. 98.
 
Annotationen