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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0224

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21 Formen kollektiver Gewalt

Als Formen kollektiver Gewalt sollen im Folgenden Aufstände und Auf-
standsbewegungen untersucht werden. Natürlich könnte auch der .Krieg'
unter kollektiver Gewalt gefasst werden, er unterscheidet sich aber auf meh-
reren Ebenen von Aufständen, womit zugleich deren Charakteristika deutlich
werden. Auf der Basis des Mh/m mshmz-Konzepts bedurfte der Krieg einer
klaren, politisch legitimierten Führung und wurde entsprechend als geordne-
te Konfliktaustragung imaginiert (vgl. dazu S. 139-147). Aufstände waren
zwar häufig ebenfalls von Führungspersönlichkeiten und spezifischen Orga-
nisationsformen geprägt, diese aber entstanden aus der Gruppe heraus und
wurden nicht hierarchisch vorgegeben.
Auf eine klare Definition von Aufständen hat sich die Forschung bisher
nicht einigen können. Als für Aufstände konstitutiv schlug Landsberger 1974
folgende vier Dimensionen vor: (1) Der Grad, zu dem es unter den Beteiligten
das Bewusstsein eines kollektiven Schicksals gibt; (2) der Grad, zu dem die
Aktionen kollektiv sind, sowohl in Bezug auf die Anzahl der beteiligten Per-
sonen als auch auf die Organisation und Koordination der Handlungen; (3)
das Ausmaß der Instrumentalität und Expressivität der Handlungen und
schließlich (4) der Grad, zu dem die Trägerschicht einen ausschließlich sozial
niedrigen, wirtschaftlichen und politischen Status aufweist.' Cohn dagegen
diskutierte 2006 entsprechende Kategorien weitaus kritischer: (1) Zwar seien
die meisten Aufstände gewalttätig gewesen, dies sei aber keine unabdingbare
Charakterisierung. (2) Dagegen sei eine kritische Masse an Teilnehmern deß-
nitorisch nötig, um Revolten von individuellen Formen des alltäglichen Wi-
derstands zu unterscheiden. (3) Die soziale Homogenität der Aufständischen
schließlich sei kein verlässliches Merkmal, vielmehr seien meistens mehrere
soziale Schichten an Aufständen beteiligt gewesen.^ Auch wenn letztlich kei-
ne Einigkeit über die konstitutiven Kriterien eines Aufstands besteht, sensibi-
lisieren die Kriterien Landsbergers und Cohns dennoch für typische Charak-
teristika. .Gewalt' als Bestandteil mittelalterlicher Aufstände ist dabei erst
recht spät als eigener Untersuchungsgegenstand in den Blick gekommen.
Ausgehend von der Beobachtung, dass Aufstände häufig durch rituelle Ab-
läufe geprägt waren/ wurde ..Gewalt als Mittel und Inhalt vormoderner poli-

i Landsberger. Peasant unrest. S. 19.
^ Cohn. Lust. S. 5-9. Siehe auch Neveux. Revoltes. S. 39f.
3 Graus. Pest. S. 499. stellte 1987 fest, das Aufstände häufig durch „stereotype Ereignisabfolgen"
geprägt seien, die man geradezu als „ritualisiert" bezeichnen könnte. Berce wies schon 1976
mit einer eindrücklichen Studie auf die Parallelitäten zwischen Festen und Revolten hin: Feiern
waren häufig mit Gewaltausübung verbunden. Revolten nahmen mitunter festähnlichen Cha-
rakter an. Berce. Fete. Siehe auch Leguai. Revoltes rurales. S. 55 (ohne Verweis auf Berce). so-
wie Jahan. Renaissances. S. 40-44. Die jüngste Gesamtdarstellung (spät-)mittelalterlicher Auf-
stände stammt von Cohn. Lust, sowie Haemers. Moody community. Kollektive Verhaltens-
formen wurden vor allem unter soziologischer Perspektive erforscht, siehe Thompson. Plebeji-
 
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