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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0037

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21 Forschungsstand

In seinen Re/Mxzons szzr uzolence beschrieb George Sorel 1908 Gewalt aus
marxistischer Sicht als legitimes Kampfmittel, bei dessen Wirkung man eher
auf langfristige Konsequenzen als auf direkte Wirkungen schauen müsse.
Analytisch sei Gewalt jedoch kaum präzise zu fassen, so Sore!.' Hannah
Arendt griff dieses Diktum 1970 auf und betonte, dass es auf den ersten Blick
einigermaßen überraschend sei, dass Gewalt bisher kaum konzeptionell un-
tersucht worden sei 7 Noch 1997 sah Trutz von Trotha diesen „Befund vom
ungenügenden Stand der Gewaltforschung weitgehend unverändert.'^ Da-
zwischen liegen zwar z. B. Walter Benjamins Erwiderung auf Sorel (1921)/
Sigmund Freuds Aggressionstheorie (1930/ und Heinrich Popitz' Idee der
„Aktionsmacht" (1986)/ aber tatsächlich wurde Gewalt zumeist nicht als ei-
genständiges Phänomen untersucht, sondern im Zusammenhang mit Herr-
schaft anhand der Opposition von legitimer und illegitimer Gewalt/ Durch
die essentialistische Annahme dieser Gegenüberstellung ist freilich ein Groß-
teil der eigentlichen Analyse schon vorweggenommen.
Seitdem muss sich einiges getan haben, da Valentin Groebner 2007 in einer
Auseinandersetzung mit der kulturwissenschaftlichen Gewaltforschung
(„Schock, Abscheu, schickes Thema"/ die seit zehn Jahren andauernde inten-
sive Beschäftigung mit Gewalt kritisch thematisierte. Der folgende For-
schungsüberblick zeigt tatsächlich, dass das Thema ,Gewalt' in jüngster Zeit
an Relevanz gewonnen hat, was wiederum auf das spezifisch moderne Inte-
resse an diesem Thema zurückzuführen sein dürfte. Es ist daher nicht weiter

' Sorel, Reflexions, S. 65.
^ Arendt, Macht, S. 12.
^ Trotha, Soziologie, S. 9. Metz, Geschichte der Gewalt, S. 7, wies 2010 darauf hin, dass Gewalt
zwar häufig untersucht worden sei, eine ,Geschichte der Gewalt' aber nach wie vor fehle. Da-
gegen Knoch, Einleitung, S. 15, der eine Zunahme der Forschungen seit den 1960er lahren kon-
statiert.
^ Benjamin, Kritik, setzt sich insbesondere mit der Frage nach der Rechtmäßigkeit von Gewalt
auseinander, diskutiert rechtsetzende und rechterhaltende Gewalt und unterscheidet zwischen
mythischer und göttlicher Gewalt, bei der erstere Opfer fordere, letztere Opfer annehme. Fetzt-
lich entwirft er ein skeptisches Bild jeder staatlichen Autorität, die niemals Opfer verlangen
dürfe.
^ Freud, Unbehagen. Die menschliche Aggressionsneigung kann nach Freud nur durch die
U'U'do (als soziale Bindung) und die Ausrichtung der DcsÜMÜo nach innen (Selbstkontrolle,
Gewissen) überwunden werden. Siehe dazu Zimmermann, Gewalt, S. 47f.; lensen, Gewalt;
Reemtsma, Vertrauen, S. 322-325; Bauer, Schmerzgrenze, S. 13-16.
6 Popitz, Phänomene. Unter den vier Grundformen der Macht (Aktionsmacht, Instrumentelle
Macht, Autoritative Macht, Datensetzende Macht) ist vor allem die Aktionsmacht an die physi-
sche Fähigkeit zu verletzen gebunden; ebd., S. 68-78. Vgl. Reemtsma, Vertrauen, S. 464f.
' Reemtsma, Vertrauen, S. 458f.; Trotha, Soziologie, S. 10-16. Wevelsiep, Sinnkriterien, S. 583,
engt die Unterscheidung auf ,legitime Macht' und ,illegitime Gewalt' ein und bestätigt damit
die rein negative Konnotation des Gewaltbegriffs.
s Groebner, Schock, hier S. 72.
 
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