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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0205

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204

IVI Problematisierungen

112 Bürgerkrieg
Der Bürgerkrieg zwischen Armagnacs und Bourguignons entwickelte sich
aus der Rivalität verschiedener Fürsten, die um die Vorherrschaft im Regent-
schaftsrat stritten. Dieser war nötig geworden, nachdem König Karl VI. ab
1392 durch eine Geisteskrankheit wiederholt für längere Zeit regierungsunfä-
hig wurde.386 Im Rat standen sich vor allem zwei Fürsten gegenüber: Philipp
der Kühne, Herzog von Burgund und Onkel Karls VI., sowie Ludwig, Herzog
von Orleans und Bruder des Königs. Philipp versuchte, den Zugriff auf die
Mittel der Krone vor allem für den Ausbau seiner burgundischen Länder zu
nutzen, während Ludwig für eine stärkere Zentralisierung der Monarchie
eintrat.387 Der Konflikt verschärfte sich und die traditionelle Gefolgschaft der
Fürsten verdichtete sich zu Parteien, denen sich weitere Fürsten je nach eige-
nem Interesse anschlossen. Rivalität bestand vor allem um die Vorherrschaft
über Paris als Hauptstadt: Hier residierte der König als unersetzliche Quelle
der Legitimität, hier befand sich der königliche Schatz als vermeintlich uner-
schöpfliche Quelle an Liquidität.388 Immer wieder zogen die Fürsten mit ihren
Heeren vor Paris, um Einlass zu erzwingen. Aus diesem Konflikt erwuchs der
Bürgerkrieg, der soziologisch gesprochen ein „Machttest" war, „die in akut
auftretenden Konflikten oder in chronisch umstrittenen Machtverhältnissen
Klarheit darüber schaffen, wer sich durchsetzt, wer der Stärkere ist."3^
In dieser Situation wurde die Meinung und Stimmung der Bevölkerung
relevant (wenn nicht sogar entscheidend) und wiederholt wurden von der
jeweils in Paris herrschenden Partei Verschwörungen' aufgedeckt, durch die
die gegnerische Partei heimlich in die Stadt gelassen werden sollte. Gleichzei-
tig trugen die Parteien ihren Konflikt gezielt symbolisch in die Öffentlichkeit:
Ursprünglich waren Livreen und Embleme herrschaftliche Repräsen-
tationsinstrumente, nach und nach aber wurden sie zu Parteizeichen - und
der Konflikt damit zu einem „Krieg der Zeichen "3^'. Aber auch die Gewalt-
ausübung überschritt die Grenzen des Üblichen: 1407 wurde Ludwig von
Orleans mitten in Paris auf Geheiß des burgundischen Herzogs ermordet;
1418 massakrierte ein wütender Mob mehrere Hundert (vermeintliche) Ar-
magnacs, die bereits in Pariser Gefängnissen saßen, darunter auch Graf Ber-
nard VII. von Armagnac, der nach dem Tod Ludwigs zum Hauptgegner der
Burgunder geworden war; 1419 wurde der burgundische Herzog Johann in
Montereau bei einem Treffen mit dem (den Armagnacs nahestehenden) Dau-
phin ermordet. Der neue Herzog von Burgund, Philipp der Gute, verbündete
sich 1420 im Vertrag von Troyes daraufhin mit den ohnehin seit Jahren er-

^86 Zur Krankheit Karls VI. siehe Guenee, Folie. Das Standardwerk zum Bürgerkrieg stammt von
Schnerb, Armagnacs.
387 Schnerb, Armagnacs, S. 12 und 62f.
388 Kortüm, Kriege, S. 62f. Siehe dazu auch die Schilderung des Bourgeois, der Paris vor allem als
Ziel von Plünderungen sieht: lournal d un Bourgeois, S. 156 (§270).
389 Kuchler, Kriege, S. 296.
390 So der Titel einer Monographie über die die visuelle Politik lohanns Ohnefurcht im Bürger-
krieg: Slanicka, Krieg.
 
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