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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0258
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21 Formen kollektiver Gewalt

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größeren Gruppe die Möglichkeit, sich zwar aktiv, aber eher symbolisch und
keineswegs an exponierter Stehe, zu beteiligen.^
Auf symbolischer Ebene stellte die Schändung des Leichnams oder die
Verweigerung eines Begräbnisses ein Zeichen ostentativer Verachtung des
Gegners dar. Anders als nach den Mechanismen der adligen Rache üblich,
wurde den Geschändeten hier jeglicher Respekt verweigert.^ Damit wird die
ideologische Dimension der gnmde h/enA'G wie Monstrelet die Massaker
nannte, deutlich: Im Gegensatz zu klassischen Aufständen ging es nur vor-
dergründig um die Bestrafung der vermeintlich Schuldigen; es entlud sich
vielmehr eine gruppenbezogene Wut, die durch die verbalen Entmenschli-
chungen der Bürgerkriegspropaganda angeheizt worden war7°s Entspre-
chend der Maßlosigkeit der Übel, für die man die Armagnacs verantwortlich
gemacht hatte, erfuhren sie nun eine maßlose Strafe.

Das Massaker als Reinigung oder Befleckung
Mit Blick auf die zwiespältige Darstellung der Eroberung von Soissons im
März 1414 durch die königlich-armagnakische Armee (vgl. dazu S. 214-218)
verwundert es nicht, dass auch die Massaker des Sommers 1418 in den Quel-
len durchaus unterschiedlich dargestellt und bewertet wurden. Es soll im
Folgenden jedoch weniger um die Zuordnung einzelner Chronisten zu Par-
teimeinungen gehen, sondern mehr um die Art und Weise, wie Gewaltbe-
schreibungen zur impliziten Bewertung des Geschehens narrativ eingesetzt
wurden. Exemplarisch werden dafür vor allem die Schilderungen Michel
Pintoins und des Bourgeois de Paris gegenübergestellt.
Pintoin stand als hofnaher Chronist grundsätzlich auf der Seite des Königs
- den er mit dem Verweis, die Menge habe sich im Juni ohne die Zustimmung
des Königs versammelt, von vorneherein jeder Verantwortung enthob.^ Der
Antrieb der Pariser erscheint bei Pintoin entsprechend als genuin egoistisch
und nicht als am Allgemeinwohl interessiert (Vermeidung der eigenen Bestra-
fung^" statt Wunsch nach Bestrafung der ,Verräter'). Die Pariser machten sich
bei ihm von „teuflischer Raserei"^" besessen ans Werk. Zwar verschonten sie
den Abt von Saint-Denis, der gerade mit einer Hostie in der Hand betete.

205 Ebd., S. 640f.
206 Scheler, Ungeweihte Erde. Gauvard, Grace especial, S. 762, weist auf den fast fürsorglichen
Umgang hin, der Racheopfern durch ihre Gegner zuteil wurde.
207 Monstrelet, Chronique, Bd. 3, S. 289.
208 Siehe als ein Beispiel: MaMdP sod de DieM HMra pihe de cespwx fnhhes ZhmHgMHCS ZlMgdds ?d
(?Me fdej cinens.' Journal d'un Bourgeois, S. 117 (§200).
209 Et fandem, regis, eoMsdiariorMW SMorMW uei ParisieMsis preposih irrepMisdo assensM, mereaforMW
preposÜMW, (?Mem ^ Mouo creauera?h, MoieMfem reiMcfaMfempMe ad dowMW eowwMMew udie, sdam d!
Grauia, perdMxerMMf, prope uesanis uoedws exeiawaMfes uiderefMr p:dd ageMdMW. Chronique du
Religieux, Bd. 6, S. 244.
210 in coMgregacione cop/hsa major pars domiMMW fMrdad eapdis assisfedaf, p:d, saue coMsciencM remor-
denfe, hmedaMf ne, pMod perpehaueraMf sceiMS rex adas reprodando, reddere eogerewiMr pMe dieedaMf se
jMshssiwe rap:u'sse, ef sie capde pieefereMfMr. Ebd., Bd. 6, S. 244.
2n Di/adode;'s/Mrds;/Mrorew di/adodeMW. Ebd., Bd. 6, S. 244.
 
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