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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0260
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21 Formen kollektiver Gewalt

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ner Straße zu töten und die Frauen zu ertränken, wozu sie bereits die Säcke
organisiert hätten. Auch wollten sie Paris eher an die Engländer übergeben,
als die Stadt in den Händen Burgunds zu sehen Die Einnahme der Stadt
durch die Burgunder erscheint daher als humane und patriotische Rettung,
gegenüber der Mitleid mit den Gegnern völlig unangebracht gewesen wäre.^s
Als die Armagnacs am 29. Mai versuchten, die Stadt zurückzuerobern, be-
waffneten sich die Pariser folglich und schlugen die Angreifer zurück, wobei
522 Menschen tot auf den Straßen zurückblieben.^ Die Pariser kamen dieser
Darstellung zufolge dem imaginären Massaker der Armagnacs zuvor, indem
sie diese im Kampf besiegten.^" Was nun in der Schilderung des Bourgeois
folgt, ist quasi die Inversion des Blutbads, wie es Pintoin überliefert:
„Es regnete so stark in dieser Nacht, so dass sie [die Leichen] über-
haupt nicht schlecht rochen, sondern ihre Wunden durch den Regen
gewaschen wurden und am nächsten Morgen weder Blut noch Unrat
auf ihnen war."221
Während die Pariser bei Michel Pintoin im sie beschmutzenden Blut ihrer
Opfer versinken, sorgt beim Bourgeois ein starker Regen für Abhilfe: Die Stra-
ßen und Toten werden von Blut und Dreck gereinigt, das Massaker selbst
wird damit metaphorisch als Säuberung der Stadt von den schlecht regieren-
den Armagnacs dargestellt.222 Die Taten der Pariser und die Natur (bezie-
hungsweise Gottes Wirken durch die Natur) greifen Hand in Hand und er-
möglichen (aus burgundischer Sicht) einen Neuanfang. Diese Episode ist
umso bemerkenswerter, da der BoMrgeois der einzige Chronist ist, der mit 522
Toten eine recht hohe Opferzähl direkt nach der Einnahme der Stadt durch
die Burgunder nennt.223 Bei der Schilderung des letztlich größeren Massakers
vom 12. Juni flüchtet sich der pro-burgundische Boorgoo/s in Allegorien.
Durch einen Fehlalarm seien die Pariser zusammengelaufen, woraufhin sich

212 AZnsZ c/aZ/ Par/s goucrncAMSscmcn/, ^ /an/ Z?a;'ssaZcn/ ccnx tpu goMucrnaicn/ ccnx tpu n'c/a/cn/ de /enr
Fände, tpF/Zs proposcrcn/ t?Me per /on/cs /es rnes ds /es prcndra/cn/ e/ /Menden/ sans mere/, e/ /es Jemmes
Z/s no/enden/, e/ aua/cn/ pr/ses parJbrcc /es /oZ/es de Pens anx w!arc/?ands e/ a andres sans pai/er, d/san/
(?ne e'e/aZ/ ponr (Jä/rc des /en/es e/ des pau/Z/ons ponr /e ro/, e/ e'e/aZ/ ponr Jä/reJ /es saes ponr noi/er /es-
dZ/es Jemmes. P/ eneore p/ns, Z/s proposeren/ (?ne, auan/ (?ne /es BoMrgM/gnons u/nssen/ a Par/s, n/ (?ne /a
pa/x se /Z/, Z/s rendra/en/ Par/s an ro/ d/Ang/e/erre. Journal d'un Bourgeois, S. 106-108 (§186-189),
hier 107f. (§189). Siehe dazu auch Slanicka, Feindbilder, S. Ulf.
218 Zur Konstruktion des Feindbilds der Armagnacs beim Bonrgeo/s siehe Slanicka, Feindbilder,
S.102-114.
219 Journal d'un Bourgeois, S. Ulf. (§193).
220 Slanicka, Feindbilder, S. 112f.
221 P/ p/nd /an/^or/ ce//e nnZ/ (?ne one^nes ne sen/Zren/ nn//e ma/Ze odenr, wa/s/nren/ /auees par Jbree de /a
p/n/e /enrs p/a/es, ^n'an wa/Zn n'i/ auaZ/ n/ sang Zv/e, n/ ordnre snr /enrs p/a/es. Journal d'un Bour-
geois, S. 112 (§193). Zur Ambivalenz dieses Bildes siehe die folgende Anmerkung.
222 Gauvard, Grace especial, S. 216f., deutet die Darstellung als ,sauberes' Verbrechen, Beaune
dagegen interpretiert den Regen als Barmherzigkeit der Natur gegenüber der Unbarmherzig-
keit der Menschen, siehe Journal d'un Bourgeois, S. 112, Fußnote. 60.
223 Siehe oben, Anm. 219.
 
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