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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0317
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316

IVI Problematisierungen

Aus seinem traditionellen Standesbewusstsein heraus verwies der Adel
fast trotzig auf sein Privileg, gewaltsam das eigene Recht durchsetzen zu dür-
fen. Durch die zunehmende Kriminalisierung der Fehde und des Duells fielen
diese Handlungsmuster jedoch als Konfliktaustragungsstrategie aus. Dies
mag dazu geführt haben, dass ein Angriff auf das Leben des Gegners selbst
unter Adligen nicht mehr als Tabu betrachtet wurde.Die Ideologisierung
der Politik im Bürgerkrieg und die damit einhergehende propagandistische
Dehumanisierung der Gegenpartei und ihrer Anführer dürfte darüber hinaus
die Hemmschwelle gesenkt haben, die als ,Verräter' bezeichneten Gegner zu
töten und dies mit der Sorge ,für das Allgemeinwohl' zu legitimieren. Neben
offenen Attentaten waren Giftanschläge eine weitere Spielart des politischen
Mordes, die Angst vor ihnen also mehr Symptom als selbst Ursache des
Wandels in der politischen Kultur, der den Zeitgenossen selbst klar vor Au-
gen stände
Die vier hier nähert untersuchten Mordanschläge liefen nach einem ähn-
lichen Muster ab: Bedeutende Fürsten als ,Hintermänner' engagierten Män-
ner, die selbst persönliche Rachemotive gegen die Zielperson pflegten. Die
Attentäter lauerten ihrem Opfer häufig zumeist nachts auf und suchten nach
den Anschlägen wieder den Schutz ihrer mächtigen Auftraggeber. Diese wa-
ren für die königliche Justiz wegen ihrer herausgehobenen Stellung kaum
fassbar. Derartige Anschläge aus dem Hinterhalt galten aufgrund der darin
offenbar werdenden Missachtung traditioneller Regeln als ras. Bei Gift-
anschlägen fühlte man noch stärker die eigene Wehrlosigkeit. Vergiftungen
wurden als unvorbereiteter, qualvoller, schlechter Tod imaginiert, bei dem
man nicht einmal wusste, wessen Opfer man wurde - eine Vorstellung, die
eine prinzipiell auf die Offenheit personaler Beziehungen fokussierte Gesell-
schaft verstören musste.

250 Minois, Couteau, S. 22.
251 Siehe z. B. die gegen die Mörder Johanns Ohnefurcht gerichtete Tirade bei Chastellain, Oeuv-
res, Bd. 1, S. 36f., Textzitat auf S. 123, Anm. 10. Siehe auch Gauvard, Grace et execution, S. 275f.
 
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