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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0326
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41 Formen obrigkeitlicher Gewalt

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Exekution zudem nur letzter Teil eines längeren, entehrenden Strafrituals.^o
Die Anwendung von Gewalt war damit nicht unbedingt selbst die Strafe,
sondern auch ein Mittel der öffentlichen Entehrung und Diffamierung.

413.1 Intention und Funktion von Körperstrafen
In den 1450er Jahren hatte man in Brüssel ein Problem: Chastellain berichtet,
es habe viele faule junge Leute gegeben, die sich, statt zu arbeiten, nur in
Kneipen und Bordellen herumgetrieben, Menschen Geld abgepresst oder sie
sogar getötet und überall Feuer gelegt hätten. Sie hätten dabei sehr wohl ge-
wusst, dass sie eines Tages deswegen hingerichtet werden würden, aber ein
Schlag mit dem Schwert habe sie offenbar nicht abgeschreckt. Die Gerechtig-
keit sei in Brüssel dadurch quasi auf den Kopf gestellt worden A Die Brüsseler
beschlossen also, die jungen Männer entsprechend ihrer Taten schrecklich zu
strafen: Ein als Brandstifter verurteilter, zwanzigjähriger „schöner Mann"
wurde auf dem Marktplatz öffentlich verbrannt.^
Die Intention und Wirkung derartiger Hinrichtungen lässt sich mit den
drei Schlagworten Öffentlichkeit, Abschreckung und Exemplarizität fassen.
Die Missachtung und Geringschätzung des Rechts durch die jungen Männer
stellte für die städtische Obrigkeit eine Herausforderung dar, weil die Einhal-
tung von Recht und Ordnung in ihre Zuständigkeit fiel. Die Öffentlichkeit
einer Strafe diente sowohl der Genugtuung seitens der Opfer oder Geschädig-
ten als auch der Demonstration effizienter Justiz.^ Der Brüsseler Rat konnte
und musste also durch die Bestrafung eines Schuldigen seine Fähigkeit zu
herrschen öffentlich unter Beweis stellen. Erklärtes Ziel der Brüsseler war es,
dass die „Hinrichtung solcher Leute wieder so gefürchtet würde, wie sie es
einst war."54 Da eine Enthauptung offensichtlich als nicht abschreckend ge-
nug erachtet wurde, setzte man das Strafmaß bewusst so herauf, dass die
Hinrichtung des jungen Mannes „als Muster und Beispiel für alle anderen"^
dienen konnte. Die Idee der Abschreckung bedingte zudem, dass die Hinrich-
tung exemplarisch inszeniert wurde: Es ging nicht um die angemessene Be-
strafung des einzelnen Verbrechers, wie es viele Theoretiker des 15. Jahrhun-
derts forderten, sondern darum, beispielhaft die Grenzen dessen zu markie-
ren, was akzeptabel warA^ Eine solche Strafe zielte auf die Belehrung der Zu-
schauer, die sich am Schicksal des Bestraften ein Beispiel nehmen sollten - es

Beaune, Les Monarchies medievales, S. 219f. geht von 15-20 Hinrichtungen pro Jahr im spät-
mittel-alterlichen Avignon aus. Siehe auch Hamei, Application; Gauvard, Violence et ordre
public, S. 52 und 71f.; Mills, Suspended animation, S. 14-16.
5i St/ CM/MijMshcc Huerh'e rn BrMsseNes. Chastellain, Oeuvres, Bd. 3, S. 460.
5i Chastellain, Oeuvres, Bd. 3, S. 460-462. Siehe dazu Huizinga, Herbst, S. 4.
55 Gonthier, Chatiment, S. 89-93. Zur Darstellung der Öffentlichkeit solcher Hinrichtungen in
Miniaturen, siehe Morel, Iconographie, S. 213-295.
54 J...J FcxccMhoM & fedes gCMs/Msf HMheweMf redoMHee d ores. Chastellain, Oeuvres,
Bd. 3, S. 460.
55 PoMr doMMer miroer cf cxcmplc d foMS HMhcs de cas samMaMe. Ebd., Bd. 3, S. 461.
50 Gonthier, Chatiment, S. 173-175.
 
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