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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0336
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41 Formen obrigkeitlicher Gewalt

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vielmehr schien es ihnen angesichts des kollektiven Hasses gegen Betizac
legitim gewesen zu sein. Das Verfahren, auf dem die Verurteilung beruhte,
trat hinter den Akt der Bestrafung als solchen zurück: Der Zweck heiligte die
Mittel.
Gegenüber solchen Taktiken war die öffentliche Verurteilung und Hin-
richtung Merigots Marches 1391 ein exzeptioneller Fall, da viele Anführer der
Companies gerade aufgrund ihrer ,Privatarmee' quasi unangreifbar waren
(vgl. dazu S. 185f.). Wie einfach es für einen Fürsten war, sich der königlichen
Justiz zu entziehen, zeigt auch das Beispiel Jean Montforts 1341. Zwar folgte
er einer Ladung an den Hof, um sich wegen des Bretonischen Erbfolgekriegs
dem Richtspruch der Paüs de France zu stellen. Als er sich aber dem Urteil
anderer ausgeliefert sah (das ja sehr wohl gegen ihn ausfallen konnte) hielt er
es doch für klüger, sich in die Bretagne zurückzuziehen, so Froissart. Es
schien ihm besser, den Zorn des Königs in Kauf zu nehmen als das offene
Urteil der Fürsten zu erwartend^ in Paris konnte dann zwar ein Urteil gefällt
werden - es war de facto aber wirkungslos.
Das mitunter mühsame und wenig erfolgreiche Verfahren der Justiz för-
derte die Suche nach anderen Lösungswegen. Im Folgenden soll ein Blick auf
zwei solcher Ausweichstrategien geworfen werden, mit denen der König den
normalen Gang der Prozessordnung und Urteilsvollstreckung auf verschie-
denen Wegen und aus unterschiedlichen Gründen zu umgehen suchte. Damit
eröffnet sich gleichzeitig der Blick auf formale Grenzen sowie auf zeitgenössi-
sche Diskussionen von (teils umstrittenen) Rechtspraktiken.

Ausweichstrategien I: Standrechtliche Hinrichtungen
Auf die breite Kritik, die einer rigorosen Anwendung der Justiz ab dem
14. Jahrhundert entgegenschlug, wurde bereits hingewiesen (vgl. dazu S. 318-
321). Kritisiert wurden von den Zeitgenossen vor allem Fälle, in denen der
König ohne weitere Beratung mit den Fürsten selbst das Recht in die Hand
nahm. In die Anfangszeit des Hundertjährigen Krieges um 1350 fallen gleich
drei prominente Beispiele, in denen der König Adlige hinrichten ließ - und
damit jeweils enorme Empörung hervorrief. Alle drei Fälle weisen sowohl
hinsichtlich der königlichen Handlungsmuster als auch der zeitgenössischen
Reaktionen signifikante Ähnlichkeiten auf.
Olivier III. de Clisson hielt mächtige Ländereien in der Bretagne und war
daher ein sowohl vom französischen als auch vom englischen König umwor-
bener Bündnispartner. Im Bretonischen Erbfolgekrieg stand er zunächst auf
französischer Seite, geriet aber wegen eines nicht genehmigten Duells und
militärischer Niederlagen in Misskredit, was ihn 1342 wohl zum Seitenwech-
sel in englische Dienste motiviert haben mag3°5 Damit wurde er zum Waffen-
gefährten Jeans de Montfort, der sich gerade zuvor dem Gericht der P%üs
entzogen hatte (siehe oben, S. 334f.). Ein solcher Seitenwechsel war an sich

104 Froissart, Chroniques (liv. I & II), S. 355f. (1,145).
105 Henneman, Clisson, S. 26.
 
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