Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Durrer, Antonia; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Kreuzfahrerherrschaften des 12. und 13. Jahrhunderts zwischen Integration und Segregation: zeitgenössische und moderne Stimmen im Vergleich — Mittelalter-Forschungen, Band 51: Ostfildern, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44634#0340
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
VI. Schluss

Zeitgenössische und moderne Stimmen im Vergleich
Den multireligiösen Kreuzfahrerherrschaften habe ich mich auf unterschiedli-
chen Ebenen zu nähern versucht: auf der Ebene der zeitgenössischen Ge-
schichtswerke und Pilgerberichte verschiedener kultureller Einflussbereiche
einerseits und auf der Ebene des Wissenschaftsdiskurses mit seinen weit aus-
einanderklaffenden Deutungsmustern zwischen Integration und Segregation
andererseits. Die Ebene der zeitgenössischen Quellen hat Strategien der Auto-
ren, ihre eingeschränkten Möglichkeiten aufgrund des Beschreibungsgegen-
standes und der Gattungskonventionen und daraus folgend die Grenzen mit-
telalterlicher Quellen aufgezeigt. Durch die Untersuchung des Wissenschafts-
diskurses wurde dargelegt, wie Deutungsmuster über die zeitgenössischen
Quellentexte gestülpt wurden (und werden). Es kamen dabei oftmals allzu be-
liebige Deutungen (Fehlinterpretationen oder Überinterpretationen) zum Ein-
satz, die wiederum bestätigen, wie wenig aussagekräftig die zeitgenössischen
Quellen bezüglich der Frage nach Integration und Segregation sind. Es stellt
sich eine Sensibilisierung gegenüber Sichtweisen ein, die als vermeintlich neu
gelten, aber eigentlich bereits in der Kreuzzugsforschung zum Einsatz ge-
kommen sind.1®95 Ich möchte an einem konkreten Beispiel aufzeigen, weshalb
der Einbezug der modernen Stimmen einen Mehrgewinn gebracht hat. Jakob
von Vitry erschuf im Umfeld des Kreuzzuges von Damiette (1217-1222) in sei-
ner historia orientalis ein negatives Sittengemälde der christlichen Welt, zu der
er Lateiner, Orientfranken und Ostchristen zählte. Um diesen lamentablen Zu-
stand zu akzentuieren, übernahm er die Ausführungen Wilhelms von Tyrus
über die mögliche Konversion der Assassinen, deren Scheitern gut in sein
Konzept einer christlichen Welt im Niedergang passte. Der Pilger Burchard
von Monte Sion wiederum übernahm einige dieser Ausführungen und Jakob
von Vitrys negative Grundstimmung zum Zustand der Christenheit einige
Jahre vor dem definitiven Ende der Kreuzfahrerherrschaften. Hans Prutz, His-
toriker in Königsberg um 1900, orientierte sich bei seinen Ausführungen über
die Bevölkerungsgruppen in den Kreuzfahrerherrschaften stark an Jakob von
Vitry und sprach von räumlicher Trennung zwischen den Bevölkerungsgrup-
pen. Durch Joshua Prawer wurde dieses Negativbild als Teil des Segregati-
onsmodells in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum vorherrschenden
Narrativ. Jakob von Vitrys Geschichtswerk beeinflusste darüber hinaus die
französische Forschung. Der Bischof von Akkon interpretierte die Anpassung
1895 So bereits KEDAR, B. Z., „Crusade Historians and the Massacres of 1099", in: Jewish History
12 (1998), S. 11-31, hier S. 11.
 
Annotationen