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Lorke, Ariane; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0046
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II.2 Themen und Hintergründe

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mittelalterlichen römisch-katholischen Kirche abzielten. Damit sind sowohl ak-
tives Vorgehen wie auch passives Reformiert-Werden gemeint. Diese Begriffs-
interpretation unterscheidet sich sowohl inhaltlich wie zeitlich von der moder-
nen Forschung, welche die „Zeit der Kirchenreform" „traditionell zwischen 1046
und H22"157 ansetzt. Mein Anliegen ist es, aufzuzeigen, dass Veränderungen in
Denken und Handeln bereits zu Beginn des 11. Jahrhunderts deutlich spürbar
waren, ab 1049 eine Beschleunigung erlebten und im Verlaufe der 1060er Jahre
eine so massive inhaltliche Neuorientierung erfuhren, dass ab dieser Zeit von
einer anders gelagerten Kirchenreform gesprochen werden muss. Denn nun
konzentrierte sich die Kommunikation zunehmend auf die Auseinandersetzung
zwischen weltlichen und geistlichen Machthabern um politische, wirtschaftliche
und jurisdiktionelle Einflussmöglichkeiten. In dieser Sichtweise bilden die Re-
form des Papsttums 1046, dessen anschließende Emanzipierung und wachsen-
der Autoritätsanspruch den Ausgangspunkt der Überlegungen. In meinem
Untersuchungszeitraum hingegen standen vor allem das gemeinschaftliche
geistliche Leben, die Gottesfriedensbewegung, Simonie und Nikolaitismus der
Geistlichkeit sowie die laikale Verwandtenehe unter Hinwendung zum Kir-
chenrecht im Fokus. Die Diskussion um den Einfluss von Laien trat erst nach und
nach hinzu, wurde aber in der Folge zum alles beherrschenden Thema.
All diese planvollen Veränderungen wurden von Personen getragen, die im
Folgenden als Kirchenreformer, oder kurz: Reformer, bezeichnet werden. Sie
setzten sich nachweislich innerhalb eines komplexen Prozesses ein, welcher
ausgehend von der Benennung über die Diskussion und das Ergreifen von
Maßnahmen bis hin zur Erfolgskontrolle und Nachbesserungen reichte. Auf
welche Weise die eben genannten Reformthemen in den Fokus gerieten und
welchen Anteil verschiedene Gruppen daran nahmen, zeigen die folgenden
Abschnitte.
IL2 Themen und Hintergründe
II.2.1 Geistliches Gemeinschaftsleben
Im Verlauf des 9. Jahrhunderts verfiel das geistliche Leben in zahlreichen Ge-
meinschaften Lothringens, Burgunds und Italiens aus unterschiedlichen Grün-
den. Klöster erlitten säkularisierende Eingriffe in ihre Organisation und Güter,
mussten deren Veräußerung durch Laienäbte hinnehmen und waren den
plündernd und brandschatzend einfallenden Normannen, Sarazenen und Un-

157 Wetzstein, Bedeutung 2008, S. 270. Weinfurter, Ecclesia 1986, S. 31 siedelte den Beginn der
Kirchenreform erst mit dem Tod Heinrichs III. 1056 an. Nach der Abkehr von der Idee der
lothringischen Rechtsschulen gilt derzeit die Reform des Papsttums 1046, dessen anschließende
Emanzipierung und entstehender Autoritätsanspruch als Beginn einer Kirchenreform, die als
Auseinandersetzung zwischen weltlichen und geistlichen Machthabern verstanden wird.
 
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