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Lorke, Ariane; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0047
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46

II Charakteristika der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts

gam nahezu schutzlos ausgeliefert.158 Der Klerus strebte häufig nicht aus Beru-
fung, sondern aus rein materiellen Gründen ins Amt, und war nicht selten
schlecht bis gar nicht ausgebildet.159 Diese wirtschaftliche, organisatorische und
moralische Situation in zahlreichen Einrichtungen geistlichen Gemeinschaftsle-
bens machte einen vorbildlichen Lebenswandel schwierig - nicht selten ließen
aufgrund dessen Regeltreue, Zölibat und Versorgung zu wünschen übrig -,
wenn nicht gar unmöglich.160 Nach und nach übernahmen Kanoniker viele der
monastischen Einrichtungen.161
Zu Beginn des 10. Jahrhunderts setzte allerdings eine Wiederbelebung ein,
die von der Rückkehr zur strengen benediktinischen Observanz im Sinne Be-
nedikts von Aniane getragen wurde und nach der Sicherung wirtschaftlicher
Grundlagen strebte.162 Durch strengere Regelauslegung und vor allen Dingen
Kommendierung an den apostolischen Stuhl versuchte das cluniazensische
Mönchtum ab dem ersten Drittel des 10. Jahrhunderts, dieser Problematik Herr
zu werden.163 Einen anderen Weg schlugen einige lothringische Klostervorsteher
ein. Sie suchten ihr Glück in einer engen Zusammenarbeit mit den weltlichen
und geistlichen Gewalten vor Ort. Durch den immensen Zuspruch aus Adel und
Episkopat aufmerksam geworden, entwickelte sich auch das deutsche König-
tum, insbesondere Heinrich II., zu einem entschiedenen Förderer lothringischer
Reformideen.
Das späte 10. Jahrhundert erlebte zudem eine Renaissance des Eremiten-
tums, die von wenigen zentralen Gestalten wie Nilus von Rossano und Romuald
von Camaldoli getragen wurde. Beide suchten nach einer anachoretisch orien-
tierten Lebensweise im Rahmen des weit verbreiten benediktinischen Mönch-
tums, was als vorbildlich empfunden wurde und zahlreiche Anhänger, wie den
kirchenreformerisch äußerst umtriebigen Petrus Damiani aus Ravenna, fand.
Auf diese Entwicklungen gehen die Abschnitte zu Eremiten, Mönchen und
Kanonikern in Abschnitt II.3 näher ein.

158 Vgl. Lemarignier, Structures 1968; zu den Laienäbten Felten, Äbte 1980. - Zu feindlichen Ein-
fällen vgL beispielsweise Ann. Corbeienses zu 906; Adam Bremensis, Gesta Hammaburg. 138f.,
46, 52-56 u. ö.; Ann. Vedastini zu 880-886, S. 299-314; Richeri gesta Senonienses eccL II8, S. 273f.;
Chartes d'Avignon, Nr. 148, S. 170; Miller, Formation 1993, S. 69, Anm. 26 zu Verona 951.
159 Atto vonVercelli, Epistolae, Nr. IX, Sp. 116D-117A; vgl. Wemple, Atto 1979, S. 111-113. Zur Kritik
Bischof Rathers von Verona an seinem Klerus vgl. Miller, Formation 1993, S. 46f.
160 Vgl. beispielsweise für Lothringen Vita Richardi 4, S. 282; für Südfrankreich Chartes d'Avignon,
Nr. 149, S. 173 mit Folgen bis 1038; für Italien allgemein Settia, Monasteri 2006; im Besonderen
beispielsweise Hugo Farfensis, Destructio monast. Farfensis 6f., S. 535f. über die Zustände in
Farfa und Montecassino sowie Marazzi, Vincenzo 2006, S. 441f. für S. Vincenzo al Voltumo.
161 Vgl. beispielhaft Hochholzer, Reform 1999, S. 45f. für den lothringischen Raum. Zu Rom vgl. T.
Schmidt, Kanonikerreform 1972, S. 217f. mit Anm. 58.
162 Vgl. Klueting, Monasteria 2005, S. 16.
163 Zur Debatte um eine mögliche Schlüsselrolle Clunys für die Entwicklung der Kirchenreform vgl.
Ziezulewicz, School 1991, S. 383 mit Anm. 2.
 
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