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Lorke, Ariane; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0048
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II.2 Themen und Hintergründe

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II.2.2 Gottesfriedensbewegung
In Frankreich hatte der politische Niedergang des Karolingerreiches zu einer
Neuformierung von Verfassung und Gesellschaft geführt: Lokale weltliche und
geistliche Fürsten engagierten sich in immer stärkerem Maße gemeinsam für eine
Verringerung ökonomischer und jurisdiktioneller Unsicherheiten.164 Im Rück-
griff auf karolingische Konzilientexte verbanden sie sich seit dem Ende des 10.
Jahrhunderts und initiierten Sonderfrieden zur Eindämmung des von Fehden
verursachten Schadens und zur Verringerung von Übergriffen der waffentra-
genden Schichten gegenüber der unbewaffneten Bevölkerung.165 Diese Frieden
wurden auf Synoden unter der Beteiligung von Laien beschlossen und verkün-
det sowie häufig durch ein neues Instrument ab gesichert, der eidlichen Selbst-
bindung der betroffenen Waffenträger.166
Übertretungen wurden vor weltlichen Gerichten verhandelt, während die
Durchsetzung mittels bischöflicher Banngewalt sowie Sühne und Schadenser-
satzleistungen sichergestellt wurde. Als ultima ratio wurde bereits vor 1015 die
aktive Bekämpfung durch militärische Maßnahmen beschlossen und umgesetzt
sowie in den 1030er Jahren die institutionalisierte Form der Pax-Milizen unter
bischöflicher Führung geschaffen.167 Zu dieser Zeit erweiterte bereits ein weite-
rer, zeitlich befristeter Frieden das Spektrum - die treuga Dei - als auf bestimmte
Tage beschränktes Fehdeverbot.168
Die ab etwa 1040 als paces Dei bezeichneten Friedensformen zielten weniger
auf die Wahrung bzw. Wiederherstellung der Rechtsordnung selbst als vielmehr
auf eine zeitlich befristete Friedens Währung, indem sie bestimmte Personen-
kreise169 sowie materielle Güter der Kirche und der Bauern unter Schutz stell-
ten.170 Demnach wurden nicht die Ursachen von Fehdewesen, Plünderungen
und anderen Notzeiten bekämpft, sondern deren negative Auswirkungen auf
die unbewaffnete Bevölkerung.171

164 Vgl. die jüngste Zusammenfassung von Goetz, Gottesfriedensbewegung 2002 sowie zur Mul-
tikausalität Paxton, History 1992.
165 Die in der Forschung als Gottesfrieden bezeichneten Vereinbarungen wurden in den Quellen als
„pax (994), pactum pacis (994), restauratio pacis et iustitiae (1000/14), convenientia pacis (1019/
21)" bezeichnet, so Kaiser, Gottesfrieden 1989, Sp. 1591. Vgl. außerdem H. Hoffmann, Gottes-
friede 1964, S. 4 sowie aus rechtshistorischer Sicht Gergen, Pratique 2004.
166 Die Quellen „fließen recht spärlich" - neben Konzilsakten finden sich vereinzelte Nachrichten
aus Historiographie und Hagiographie, Briefen, Urkunden u.Ä. -, ,,[s]o kommt es, daß ein
vollständiges Bild des Gottesfriedens wohl niemals zu gewinnen sein wird", urteilte H. Hoff-
mann, Gottesfriede 1964, S. 8. - Zur Beteiligung der Laien vgl. Cowdrey, Peace 1970, S. 46. Zu den
Eiden vgl. für das 9. Jahrhundert Geary, Oathtaking 2007.
167 Vgl. H. Hoffmann, Gottesfriede 1964, S. 104-108 zu Bourges 1034-1038; MacKinney, People 1930,
S. 192f.
168 Vgl. H. Hoffmann, Gottesfriede 1964, S. 70-89.
169 Zu diesen zählten neben waffenlosen Klerikern und Mönchen teilweise auch Witwen, adlige
Frauen ohne Männerbegleitung und schließlich waffenlose Ritter, so Goetz, Kirchenschutz 1983,
S. 209f. Vgl. Cowdrey, Peace 1970, S. 42.
170 Vgl. Goetz, Kirchenschutz 1983, S. 209-217, 225; Cowdrey, Peace 1970, S. 42.
171 Vgl. Goetz, Kirchenschutz 1983, S. 224f.
 
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