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Lorke, Ariane; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0179
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178

II Charakteristika der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts

IL4 Zusammenfassung
Bereits in der Spätantike flammte immer wieder Kritik an der weit verbreiteten
Missachtung kirchlicher Vorschriften wie dem Zölibat und dem Verbot des
Ämterkaufes auf. Innerhalb der sozioökonomischen und politischen Rahmen-
bedingungen des 10. Jahrhunderts in Frankreich und auf der italischen Halbinsel
intensivierte sich diese Kritik zunehmend, bis zum Beginn des 11. Jahrhunderts
eine generelle Erneuerung religiöser Lebensweisen das Zentrum des Interesses
bildete. Um diese Erneuerung nicht zuletzt auch wirtschaftlich und jurisdiktio-
nell abzusichem, ergänzten Friedensbestimmungen die Bedürfnisliste.
Die religiöse Erneuerung sollte einem neuen Priesterbild1035 entsprechend
nach dem Vorbild der Apostel erfolgen. Daher konzentrierten sich viele eremi-
tische, monastische und kanonikale Institutionen wieder stärker auf sich selbst
und ihre spezifische religiöse Bestimmung. In diesem Zusammenhang stieg ihr
Bedürfnis nach Freiheit von politischen und familiären Bindungen,1036 welche
durch eine gesteigerte Petrus- und Romfrömmigkeit sowie den stärker wer-
denden Reliquienkult teilweise kompensiert werden konnten. All dies geschah
bis in die zweite Jahrhunderthälfte häufig in Zusammenarbeit sowohl mit
Herrschaftsträgem als auch breiteren Volksschichten, die in Teilen sogar als
treibende Kräfte der Reform wirkten. Das Interesse an einer neuartigen Ekkle-
siologie1037 war allgegenwärtig. Die Themen und Hintergründe der Kirchenre-
form in der Mitte des 11. Jahrhunderts speisen sich demzufolge aus der Kollision
alter Traditionen und Vorstellungen mit einer tiefgreifenden religiösen, sozialen
und moralischen Aufbruchsstimmung im Rahmen unsicherer Herrschaftsver-
hältnisse.
Dabei sind nicht alle Themen auf einer Ebene anzusiedeln: An der Kritik von
Simonie, Nikolaitismus, Laieneinfluss und Verwandtenehe waren sowohl Laien
als auch Kleriker, sowohl Mönche als auch Päpste und Könige sowie Kaiser
beteiligt. Diese voneinander abgrenzbaren Sachfragen wirkten in allen Schichten
der Gesellschaft, über die Quellen berichten - freilich in jeweils unterschiedlicher
Intensität. Sie wirkten zugleich aber auch auf die Bandbreite der religiösen Le-
bensformen des frühen 11. Jahrhunderts ein, so dass generell von Klosterrefor-
men, Kanonikerreformen und Wiederbelebung des eremitischen Lebens ge-
sprochen werden kann. Aufgrund der gesellschaftlichen Virulenz, einer Vielzahl
an Personen und Institutionen sowie regionalen Besonderheiten prägten sich
diese Reformen allerdings höchst unterschiedlich aus: DIE Klosterreform gab es
genauso wenig wie DIE Kanonikerreform.

1035 Laudage, Priesterbild 1984, besonders S. 3091. Vgl. dazu die kritische Einschätzung von R.
Schieffer, Priesterbild 1986.
1036 Tellenbach, Libertas 1936; Szabo-Bechstein, Libertas 1985. - Dies wird teilweise auch als über-
geordnete Ursache gesehen, wenn Freiheit der Kirche auch Freiheit des Klerus von politisch und
familiären Bindungen meint, vgl. Zschoch, Christenheit 2004, S. 26.
1037 Laudage, Priesterbild 1984; Tellenbach, Libertas 1936.
 
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