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Lorke, Ariane; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0106
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II.3 Personen und Gruppen

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Heiliger Schrift und der Situation vor Ort aufgefordert wurde, bildete ein neu-
artiges Element: Texte und deren gemeinsames Hören und Lesen hielten die
Bewegung zusammen und formten ihre Identität.530 Diese entwickelten sie in
öffentlichen Predigten auf Plätzen und in Kirchen sowie bei Treffen in privaten
Unterkünften weiter und erlangten so ein steigendes Selbstbewusstsein, das in
der Gründung eigener religiöser Gemeinschaften und schließlich physischer
Gegenwehr gipfelte. Ihre Schlagkraft verdankten sie nach Zumhagen den neuen
und intensiveren Formen der Interaktion zwischen Laien und Klerikern, die
erfolgreich neue Gemeinschaftsformen erprobten: Dartmann sprach von einem
„sich allmählich erweiternden Bereich laikaler Partizipation mit stark experi-
mentellem Charakter".531 Aber auch die jeweilige sozioökonomische Konflikt-
struktur vor Ort sowie die Anlehnung an das Papsttum waren zentrale Aspekte.
Trotzdem bleibt undeutlich, woran sich das Handeln der jeweiligen städtischen
Gemeinschaften im Detail ausrichtete und aus welchem Anlass sie über den
engeren religiösen Bereich hinaus aktiv wurden.532
IL3 Personen und Gruppen
II.3.1 Eremiten
Obgleich gerade die eremitische Lebensform aufgrund ihrer Weitabgewandtheit
eine besondere Quellenproblematik nach sich zieht, vermochte die Forschung
dennoch in einigen Bereichen erstaunlich detaillierte Ergebnisse zu erzielen.
Anachoretisch lebende Mönche und Mönchsgemeinschaften hatten sich im
Verlauf des Frühmittelalters vor allem auf der italischen Halbinsel verbreitet.533
Im Rahmen der karolingischen und ottonischen Kirchenstruktur lebten sie vor
allem in Norditalien einen „eremitismo monastico"534, der am traditionellen
benediktinischen Mönchtum orientiert war: Trotz des Strebens nach Einsamkeit
und Askese blieb eine Vielzahl dieser Inklusen bzw. Reklusen535 stets einem
Kloster oder Abt verbunden. Dies trifft auch auf Süditalien zu, wo allerdings
infolge eines lang anhaltenden byzantinischen Einflusses die Vorstellungen Ba-
silius' des Großen und anderer Mönchsväter das Maß der Dinge bildeten.536

530 Vgl. dazu Zumhagen, Konflikte 2002, S. 42; Stock, Implications 1983, S. 88-91. Gilrichst, Epistola
1981, S. 583 hielt eine Benutzung der Epistola Widonis gegen simonistische Missstände unter
Erzbischof Aribert II. von Mailand (1018-1045) insbesondere für die Legation 1067 für nicht
ausgeschlossen.
531 Zumhagen, Konflikte 2002, S. 4, 19.
532 So ebd., S. 169f., 204; Dartmann, Interaktion 2012, S. 399.
533 Vgl. einführend den Sammelband Spinelli, Monachesimo 2006.
534 Zitat bei Violante, Eremitismo 1972, S. 139f. Vgl. grundlegend den Aufsatz von Sansterre, Mo-
nachisme 2006 im Sammelband Vauchez, Ermites 2003. Letzterer versammelte die neueste
Forschung zum Eremitentum in Italien und Frankreich vom 11. bis zum 15. Jahrhundert Vgl.
ferner den Sammelband Eremitismo 1965.
535 Vgl. einführend Mulder-Bakker, Inklusen 1991.
536 J.-M. Martin, Eremitisme 2003; Howe, Influence 1979, S. 1-10, 362-369 (Anmerkungen).
 
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