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Lorke, Ariane; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0105
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104

II Charakteristika der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts

den 1070er Jahren nämlich nicht allein am Fehlen eines spirituellen Anführers,
sondern vor allen Dingen an der Bedrohung des Mailänder Machtgefüges.* * * * * * * * * * * * * * * * 524 Die
Verknüpfung von Abbatiat und Klosterbesitz aber auch von Kanonikat und
Pfründen war für die Adelsfamilien nicht nur wirtschaftlich interessant, sondern
auch von politischer Bedeutung.525 Schon Ariald war daher mehrfach mit dem
starken familiären Rückhalt der simonistischen Abte einiger Mailänder Bi-
schofsklöster kollidiert.526 Aufgrund dieser Entwicklung überrascht es nicht,
dass Kleriker in den Quellen spätestens nach 1066 auffallend zurücktraten.527
Auch wenn den patarenischen Bewegungen Oberitaliens letztlich kein Er-
folg beschieden war,528 schafften sie es, die Diskussion über Amterkauf, Pries-
terehe und den Wert der Sakramente aus den Studierzimmern auf die Straße zu
holen.529 Dass jeder Einzelne zur Stellungnahme gegenüber dem Verhältnis von

traten bestehende politische und ökonomische Konflikte zwischen einflussreichen Händlern,
grundbesitzenden Adelsgeschlechtem sowie dem Bischof überaus deutlich zu Tage, so dass die
Pataria ab Mitte der 1050er Jahre „nur ein Teilstück dieses Konkurrenzkampfes" darstellen kann
(Zumhagen, S. 142). - Auch in Florenz scheint die Aktivität toskanischer Großer sowohl gegen
den simonistischen und von Markgraf Gottfried unterstützten Bischof als auch teilweise gegen
Gottfried und seine Frau Beatrix selbst gerichtet gewesen zu sein (ebd., S. 180f.). - Die Bi-
schofsherrschaft in Mailand litt bereits in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts unter fort-
schreitendem Bedeutungsverlust: Nachdem bereits Erzbischof Aribert II. (1018-1045) dem
Valvassorenaufstand 1035-1037 nicht gewachsen gewesen war und 1044 sogar die Stadt hatte
verlassen müssen, gelangte der aus dem Komitat stammende Kapitäne Wido nur mit Hilfe
Heinrichs III. unter Umgehung der mächtigsten Mailänder Kapitanenfamilien an die Macht (vgl.
ebd., S. 23, 31). Weil sich der Mailänder Hochklerus vorrangig aus den lokalen Valvassoren- und
Kapitanengeschlechtem rekrutierte, waren Spannungen vorprogrammiert. Die Stadtpriester
hingegen, in deren Händen Seelsorge und Liturgie lagen, stammten auch aus anderen Schichten,
hatten deshalb aber keine Lobby und mussten sich selbst gegen die Angriffe der Patarener
verteidigen. Vgl. ebd., S. 70L; Cattaneo, Vita 1974.
524 Zumhagen, Konflikte 2002, S. 72-76, 202.
525 Vgl. ebd., S. 74f.; Violante, Laici 1972, S. 168.
526 Ariald gelang es zwar nicht, den Rücktritt des Abtes von S. Ambrogio zu erreichen, dafür
konnten die Patarener Widos Kandidaten in S. Celso und S. Vincenzo verhindern. Zu S. Celso
vgl. Andrea di Strumi, Vita s. Arialdi 16, S. 1060, Brief Alexanders II. von 1065: Epistolae ineditae,
Nr. 103, S. 51-52; Zumhagen, Konflikte 2002, S. 74; Violante, Laici 1972, S. 232f. Die Grund-
stimmung der Bischofsklöster dürfte eher reformfeindlich gewesen sein, denn Petrus Damiani
riet der in ein Mailänder Kloster eingetretenen Gräfin Bianca, sich unter die geistliche Aufsicht
der Patarener Rudolf und Vitale zu begeben (vgl. Violante, Laici 1972, S. 234, Anm. 307).
527 So Zumhagen, Konflikte 2002, S. 71.
528 Teile der Forschung betonten, dass es den Patarenem nicht gelungen sei, eine institutionelle
Verankerung ihrer Ideen im sozialen Leben der Stadt zu erreichen. So beispielsweise Teunis,
Failure 1979, S. 183. - Eine Zusammenfassung des Ausgangs in Mailand lieferte Golinelli, Pataria
1993, Sp. 1777: „Die Nachfolgefrage Bf. Widos führte im Rahmen der Verschärfung des Inves-
titurstreits erneut zu blutigen Auseinandersetzungen, die in Erlembalds Ermordung gipfelten
(15. April 1075). Heinrich IV. ernannte schließlich den Kleriker Tedald zum neuen Ebf. Die
Pataria-Bewegung setzte sich weiter fort als Widerstand gegen die kaisertreuen Bischöfe Anselm
III. und Arnulf II., bis Letzterer sich Urban II. unterwarf (1096) und Papst und Erzbischof
gemeinsam den Leichnam Erlembalds in S. Dionigi feierlich bestatteten. Ein radikaler Flügel der
Bewegung überlebte und bildete die Basis pauperistischer und evangelistischer Bewegungen
des 12. Jahrhunderts".
529 Vgl. Stock, Implications 1983, S. 235.
 
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