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Jostkleigrewe, Georg; Westfälische Wilhelms-Universität Münster [Contr.]; Jan Thorbecke Verlag [Contr.]; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Monarchischer Staat und 'Société politique': politische Interaktion und staatliche Verdichtung im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 56: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2018

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54857#0010
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Vorwort

Der thronende König Philipp von Valois im liliengeschmückten Ornat, ihm zur
Seite die Könige von Böhmen und Navarra, rechts und links die weltlichen und
geistlichen Pairs des französischen Königreichs, zu seinen Füßen die gelehrten
Räte - so stellt sich der Prozeß des Robert von Artois im Manuskript Paris, BnF
framjais 18437, dar. Der dort auf Folio 2 recto enthaltenen Illumination (s. S. 12) ist
die Umschlagabbildung entnommen. Der Künstler stellt das mittelalterliche
Frankreich als ranggeordnete Gesellschaft dar, deren Strukturen innerhalb der
Institutionen des entstehenden monarchischen Staates inszeniert und reprodu-
ziert werden. Die streitenden Parteien, die clercs der Verwaltung, die geistlichen
und weltlichen Großen und nicht zuletzt der König - sie alle erscheinen als
Bestandteile einer stabilen Herrschaftsordnung, in der jedem Akteur eine ein-
deutige Rolle zugewiesen ist. Und doch liegt der Fokus der Umschlagabbildung
nicht auf der monarchischen Spitze, nicht auf dem Pairskolleg und auch nicht auf
den gelehrten Räten: Der Blick richtet sich vielmehr auf die Leerstelle zwischen
den einzelnen Bildelementen. Dieser leere Raum steht symbolisch für den Un-
tersuchungsgegenstand meines Buches - für die oft nur schwer zu greifenden
und kaum zu definierenden Beziehungen zwischen den verschiedenrangigen
Akteuren, die in ihrer Gesamtheit die politische Gesellschaft des Königreichs
bilden. Untersucht man diese Beziehungen freilich genauer, so wird bald klar,
daß sich die Geschichte des spätmittelalterlichen französischen Königreiches
nicht ohne weiteres als die Geschichte einer ranggeordneten Gesellschaft und
ihres monarchischen Hauptes erzählen läßt. Die sich aus dieser Feststellung
ergebende Aufgabe einer gleichzeitigen De- und Rekonstruktion der französi-
schen politischen Gesellschaft will die hier vorgelegte Untersuchung zumindest
im Ansatz erfüllen.
Dieses Buch stellt die überarbeitete und zum Teil gekürzte Fassung der
Habilitationsschrift dar, die ich im Januar 2015 am Fachbereich für Geschichte
und Philosophie der Universität Münster eingereicht habe. Ein solches akade-
misches Schicksal war der zugrundeliegenden Untersuchung indes keineswegs
von vomeherein in die Wiege gelegt. Begonnen hatte die Arbeit sehr viel be-
scheidener. Im Jahr 2010 hatte mich ein Kollege aufgefordert, für einen Auf-
satzband in straffer Form die Grundstrukturen königlicher Herrschaft im
hochmittelalterlichen Frankreich darzustellen; die Zielsetzung des betreffenden
Bandes bestand darin, in europäisch-vergleichendem Zugriff das Verhältnis von
Herrschaftsstrukturen und deren historiographischer Beschreibung zu explo-
rieren. Nun hätte ich wahrscheinlich einfach zu einem gängigen Handbuch
greifen und die dortige Darstellung französischer Königsherrschaft, ergänzt um
einige eingängige Beispiele, zu einem lesefreundlichen Text ausbauen sollen.
Statt dessen hielt ich es für notwendig, mehr schlecht als recht einige Analyse-
kategorien zu entwickeln, mit deren Hilfe ich dem Impetus des betreffenden
Bandes gerecht zu werden hoffte - dem Ziel nämlich, eine Beschreibung mit-
telalterlicher Königsherrschaft zu liefern, die nicht ganz und gar den dominie-
 
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