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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1.1872-1873

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https://doi.org/10.11588/diglit.5262#0010
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i9

Der Verlorene Sohn. Von Jos. v. Führieh.

werkes von ihm zu gelangen. Die Akademie
ergriff nunmehr die sich bietende Gelegenheit und
brachte die Zeichnungen an sich, die sie gegen-
wärtig in ihrer Bibliothek bewahrt. Kupferstecher
Petrak, der in früheren Jahren schon Manches nach
Führich gestochen hatte, war aber dem Ankaufe
noch mit dem Anerbieten zuvorgekommen, die
Vervielfältigung der Zeichnungen zu übernehmen.
Er erwarb das Recht hiezu und ging, nachdem die
inzwischen in's Leben, getretene «Gesellschaft für
vervielfältigende Kunst» ihm den Antrag gemacht
hatte, den Cyklus in ihre Publicationen aufzunehmen,
sogleich mit der ihm eigenen Vorliebe für den
Autor an's Werk. Seiner rastlosen Emsigkeit isl es
zu verdanken, dass, ungeachtet schweren häuslichen
Kummers, der ihn seither betraf, alle acht Stiche
in verhältnissmässig so kurzer Frist vollendet vor
uns liegen.
Hatte Führich schon in den leider mit wenigen
Ausnahmen ganz ungenügend reproducirten «Zeit-
blättern» ein ernstes Wort an seine Zeit zu sprechen
gesucht, so gab auch zu diesen Compositionen der
herrschende fieberhafte Dürst nach Neuerungen
aller, oft der schlimmsten Art, der sich auch in der
bildenden Kunst zu Tage drängt, den ersten Anstoss.
«Es geht mit Zeitaltern, die sich eben
auf die schlechte Seite legen, gerade wie mit
Menschen. Diese letzteren, wenn sie gut erzogen
worden sind und eine reine Jugend hinter sich
haben, gewinnen in den ersten Phasen ihres Ver-
falles in den Augen der sie umgebenden Welt und
Gesellschaft nicht seiten etwas besonders Liebens-
würdiges und Einnehmendes, denn die ausgezogene
Tugend hat ihren Wohlgeruch noch im Hause zurück-
gelassen, und die mit den aufgegebenen strengeren
Formen eintretende freie Bewegung, graziös an
sich, dient noch dazu, ihn zu verbreiten. Das isl
der «Gang durch die Auen», wie für den Wandeln-
den schmeichelnd, so für den Beobachter verführerisch.
Wir stellen uns vor, der verlorene Sohn musse in
den ersten Jahren seines Irregehens eine recht
angenehme Erscheinung präsentirt haben. Aller-
dings nicht mehr, als er bei den Trebern der
Schweine sass. Diese letzten Zustände, und mit
ihnen die «Nacht» und das «Grauen» treten aber
zuverlässig ein.»
Diese freilich schon auf die Uebergangsperiode
vom 18. auf das 19. Jahrhundert zielenden Worte
eines tieffinnigen Mannes und Freundes Führich's,
wenn sie ihm auch nicht unmittelbar vorgeschwebt
haben mögen, bezeichnen doch deutlich den Ideen-
gang, der dem Werke zum Leben verhalf. In dem
einfach klaren Verlaufe der evangelischen Parabel

mit ihrer wahrhaft rein mensehlichen Bedeutung
boten sich die Bilder ohne Zwang von selbst dar.
Es bedurfte kaum einer Ergänzung, die nicht
wenigstens stillschweigend in der Erzählung selbst
gelegen: Der Abschied vom väterlichen Hause, den
uns das 1. Blatt vorführt, ist auf Seite des jungen
Mannes, der es verlässt, kein Abschied zu nennen,
wie ihn das Leben gebietet, sondern ein gewaltsames
Losreissen und Hinausstürmen in's Leben, denen
vielgestaltige, bunte Bilder die Phantasie des Jüng-
lings noch nebelhaft umgaukeln.
Er, der sich ihnen rückhaltlos hingiebt, wird
nicht ohne Zuthun eines falschen Freundes im 2. Bilde
auf einen Punkt festgebannt, die verführerische
Schönheit des Weibes, die ihn an den Strassen der
zum ersten Male betretenen Stadt zugleich mit dem
Ernst des Lebens und seiner Mühsal entgegentritt.
Blind und taub gegen diese, fällt er in die Netze
jener. — Den Höhepunkt dieser «natürlichen Ent-
wickelung» der «gesunden Sinnlichkeit» zeigt uns
das 3. Blatt in einem Bacchanal; das 4. aber auch
den bitteren Bodensatz des berauschenden Bechers
der Lust. Die Noth, nicht mehr die fremde, sondern
die eigene, nicht mehr leise mahnend, sondern mit
Hohngelächter packend, tritt an ihn heran und ver-
setzt ihn in jenen Zustand der Stumpfheit, von dessen
Umschlag in Verzweissung oder Ermannung die
ganze Zukunft abhängt.
Und er ermannt sich — 5. Blatt. Allgemeine
Drangsal, Hungersnoth erschwert aufs Aeusserste
die Fristung der Lebens. Er, der der Willkür
seiner Sinne Hab und Gut, Gesundheit und Ruhe
des Gewissens zum Opfer brachte, muss nun die
kümmerlichste Existenz mit schmachvoll harter
Knechtschaft erkaufen. Er verdingt sich einem
Manne, der's verstanden, mitten in der Noth und
durch die Noth der Andern mit kalter Klugheit
sich eine Oase des Behagens vorzubehalten — einem
jener Reichen, die des Lebens Mühen zu umgehen
wissen, denen aber wieder mitten im Behagen —
Friede und selbst der süsse Schmerz der Heimkehr
zu den ewigen Gütern versagt ist.
Der aber bittend sich dem Reichen verkauft
hat, findet den Rückweg — 6. Blatt. Als Schweine-
hirt sitzt er in äusserstem Reueschmerz vor dem
Hause, dort wo aus Abfällen und Spülicht der
unreinen Thiere der Pfuhl sich bildet, dessen sie
bedürsen. Auf der vorüberführenden Strasse zieht
ein Wanderer mit seinem Lastthier frei des Weges,
und das sich entfernende Unwetter trägt auf dunklem
Wolkenschleier den milden Schimmer des Friedens-
bogens. Er gedenkt der Heimat, der verlorenen, —
unwiederbringlich verlorenen? Der Entschluss reift:
 
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