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Aber den Höhepunkt in der Malerei des lafterhaften Hinler-
grundes der grofsen Stadt bildet die Serie von färb. Lithographien von
Touloufe-Lautrec, die ohne eigentlichen Zufammenhang unter dem
Titel *Elles« vereinigt find. Das Thema bildet fclbflverftändlich das
.Madchen auf tielfler Stufe, alles was an Lasterhaftigkeit und Abftofscn-
dem aus der Goffe erblühen kann. Das ift eine Publication, die, wie wir
hoffen, niemals der Unmoralilät befchuldigt werden wird; denn ich
wüfste nichts was geeigneter wäre, einen tieferen Ekel vor diefer Art
Wirklichkeit einzuflöfsen. Gezeichnet find die Dinge mit packender
Wahrheit, ohne Efprit (glücklicherweifeI), und auch ohne Schmeichelei.
Es ift als würde fich der Künftlcr in diefer Sorte von Sujets gefallen,
aus purem Vergnügen, fein Publikum abzufchrecken. Seine fieberhafte
packende, unmittelbare Art zu zeichnen, eignet fich dazu in hohem
Grade. Die plaftifche Schönheit wird fich bei einem folchen Fehlen jeder
Linie und «jeder Form niemals einfiellen. Es find nichts weiter als in
grofser Eile, auf der Stelle aufgenommene Skizzen. In einem fpätcren
Jahrhundert, wenn es fich darum handelt, unfere Sittengcfchiehtc zu
erforfchen, wird diefes Werk vielleicht ein intereffantes Belegflück fein,
vorausgefetzt, dafs es einen Platz gefunden, wo es auf die Dauer in
Ehren gehalten wird. Im Kupferftichcabinct eines vornehmen Sammlers
dürfte es fich fchwerlich vorfinden, denn es ift roh und brutal, und doch
wäre nur ein reicher Mann in der Lage, es zu erflehen, weil es fehr
koflfpielig ift; auch in einer Bibliothek dürfte es der künftige Forfcher
kaum finden, da diefe Inftitute Lascivitätcn in der Regel nicht erwerben,
und ebenfo wenig in einem Mufeum. Denn felbft zwifchen den klaflifchen
Stichen von Giulio Romano zu Aretinos laseiven Gedichten z. B. und
diefen Lithographien liegt ein Abftand wie zwifchen der antiken und der
modernen Welt, oder den Paläften der Renaiffance und den modernen
armfeligcn Wohnhäufern. Uns fcheint diefes Weik von Touloufe-Laulrcc
eher eine Curiofität als ein Kunftwerk, obgleich eine gewiffe Ausdrucks-
lahigkcit in der Compofition und eine raffinirte Harmonie im Ton unier
Auge feffelt. Wenn man es aber ein Dokument nennt, fo hat man
eigentlich Alles gefagt, was darüber zu fagen ift und kann getroft an
eine Radimng von Kops herantreten, um fich die Augen rein zu baden
von all diefer beabfichtigten und ganz eigentümlich abftofsenden Ab-
fcheulichkeit.
Zum Schluffe feien noch einige neue Verfuche in der Buchaus-
rtattung erwähnt. So die mehr änderbaren als gelungenen Publicationen
»moderner Kunft« der Herren Bing & Co., die, nachdem fie den Japa-
nismus in Frankreich acclimatifirt haben, nun die uberlricbenften und
bizarrften Blüthen modernfter Kunft verfehleifsen. Malereien wie die
von Besnard, auf den alle Welt mit gefpannter Aufmerkfamkeit blickt,
feit die wunderbare Decoration des Amphitheaters der Chemie publicirt
worden ift, erkennen wir gerne an. Dagegen befitzen wir nicht das
geringftc Verftändnifs für den dicken Druck mit den vielen weisen
Zwifchenräumen, den ungehörigen Interpunctionen, den ganz kindifchen
Illullrationen, wenn man fie überhaupt noch fo nennen darf, und den
kurzen Texten von Rodenbach.
Auch diele Publiea'.ionen werden für künftige Bibliophilen mehr
eine Sache der Neugierde als eine Bereicherung ihrer Schätze fem, mehr
ein Be\vei5ftück für den Ungefchmack als für die Kunft unferer Zeit.
Im Ganzen find diefe Bücher geeigneter, um Kinder lefen zu
lehren oder gefchwächten Augen und abnehmender Verftandeskraft von
Greifen zu Hilfe zu kommen, als Kunflliebhaber zu erfreuen. Es find
allenfalls gelungene Scherze fürBibliomanen, nicht aber für Bibliophilen.
William Ritter.
Kunstblätter.
Hans Thoma, Kursblätter nach eigenhändig über
arbeiteten Original-Lithographien in Facfimile-Repro
duc~tion auf Carton. Zum
Theil zweifarbig. Einzel-
blätter im Format 40x50 cm.
IL Serie (Nr. 11 —20). Leipzig,
Breitkopf & Härtel. Preis je
2 Mark.
Diefes Unternehmen, von dem
wir in Nr. 3 diefer Blatter Mit-
theilung machten, fchreitet rüftig
vorwärts. Mit klugem Bedacht und
gefchickter Infeenirung weifs es
unfer Intereffe feilzuhalten und zu
fteigern.
Wahrend die erfle Serie noch
manches Blatt aufweht, das nur in
gröfserem Zufammenhange und als
Beitrag zur Clmrakteriftik einer
Künftlerindividualität Werth und
Bedeutung enthält, reiht lieh in der
zweiten Serie Perle an Perle,
eine reife vollgiltige Schöpfung an
die andere. Wie in einem Mikrokos-
mus oltenbaren lieh hier die drei
Grundelcmente unferes Cultur- und
Geifteslebens, das chriftlich-religiöfe
Empfinden, die deutfehe Naturpoefie
und das antike Heidenthum die
in Thomas Kunftfc haften eine
fcltene und eigenartige Vereini-
gung finden. Und diefe Vereinigung
aus den antiquarifchen Tendenzen unferer Zeit heraus geboren. Wer
die zehn Blätter der zweiten Serie betrachtet, wird mit Freude inne
werden, dafs Thoma
ein religiöfes Thema
ill durch und durch
Hans Th
efund, nicht
<ma, Harpye,
Blätter vertreten (Nr.
Reproduktion alles, w.
Würde lieh die Quali
fich immer gleich, immer wahr bleibt, ob er
behandelt (Nr. 11 Chriftus am Ölberg, Nr. 12
Leichnam Chrifti), ob er uns den
Zauber der Stimmungen vermittein
will, die fich in der Natur und in
einem typifchen Menfchenthum
äufsern (Nr. 14 Abend, Nr. 16
Taunuslandfchafi, Nr, i~ Geiger),
oder ob er die Phantaliegebilde der
griechifchen Welt zu neuem Leben
erweckt (Nr. IS Harpye, Nr 19
Centaurin am Wafferfall, Nr. 20
Tntnnenpaar). Wie mannigfaltig
er trotz alledem auch bei einem
und demfelben Stoffgebiet in der
Auffaffung und in den Ausdrucks-
mitteln ift, zeigt ein Vergleich z. B.
der Harpye und des Tritonenpaares.
Bei der erfteren fieigert die Fort-
entwicklung und Ausgeftaltung der
urfprünglichen Idee, ihre Zufammen-
fiimmung mit einer wilden LTm-
gebung die Vorftellung von der
raffenden Todesgöttin ins ger-
manifch Gefpenfterhafte, während
das ^Tntonenpaai« mit feiner Ruhe
und Stihlirung, die fich auch den
Naturvorgängen mittheilt, fall an
ein antikes Relief erinnert.
Zahlreicher als in der erften
find in der foeben erfchienenen
zweiten Serie die zweifarbigen
11, 13, 14, 16 und 20). Auch hier feiltet die
as man billigerweifc von ihr verlangen kann.
tat des Papieres jener der Originale noch mehr
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Aber den Höhepunkt in der Malerei des lafterhaften Hinler-
grundes der grofsen Stadt bildet die Serie von färb. Lithographien von
Touloufe-Lautrec, die ohne eigentlichen Zufammenhang unter dem
Titel *Elles« vereinigt find. Das Thema bildet fclbflverftändlich das
.Madchen auf tielfler Stufe, alles was an Lasterhaftigkeit und Abftofscn-
dem aus der Goffe erblühen kann. Das ift eine Publication, die, wie wir
hoffen, niemals der Unmoralilät befchuldigt werden wird; denn ich
wüfste nichts was geeigneter wäre, einen tieferen Ekel vor diefer Art
Wirklichkeit einzuflöfsen. Gezeichnet find die Dinge mit packender
Wahrheit, ohne Efprit (glücklicherweifeI), und auch ohne Schmeichelei.
Es ift als würde fich der Künftlcr in diefer Sorte von Sujets gefallen,
aus purem Vergnügen, fein Publikum abzufchrecken. Seine fieberhafte
packende, unmittelbare Art zu zeichnen, eignet fich dazu in hohem
Grade. Die plaftifche Schönheit wird fich bei einem folchen Fehlen jeder
Linie und «jeder Form niemals einfiellen. Es find nichts weiter als in
grofser Eile, auf der Stelle aufgenommene Skizzen. In einem fpätcren
Jahrhundert, wenn es fich darum handelt, unfere Sittengcfchiehtc zu
erforfchen, wird diefes Werk vielleicht ein intereffantes Belegflück fein,
vorausgefetzt, dafs es einen Platz gefunden, wo es auf die Dauer in
Ehren gehalten wird. Im Kupferftichcabinct eines vornehmen Sammlers
dürfte es fich fchwerlich vorfinden, denn es ift roh und brutal, und doch
wäre nur ein reicher Mann in der Lage, es zu erflehen, weil es fehr
koflfpielig ift; auch in einer Bibliothek dürfte es der künftige Forfcher
kaum finden, da diefe Inftitute Lascivitätcn in der Regel nicht erwerben,
und ebenfo wenig in einem Mufeum. Denn felbft zwifchen den klaflifchen
Stichen von Giulio Romano zu Aretinos laseiven Gedichten z. B. und
diefen Lithographien liegt ein Abftand wie zwifchen der antiken und der
modernen Welt, oder den Paläften der Renaiffance und den modernen
armfeligcn Wohnhäufern. Uns fcheint diefes Weik von Touloufe-Laulrcc
eher eine Curiofität als ein Kunftwerk, obgleich eine gewiffe Ausdrucks-
lahigkcit in der Compofition und eine raffinirte Harmonie im Ton unier
Auge feffelt. Wenn man es aber ein Dokument nennt, fo hat man
eigentlich Alles gefagt, was darüber zu fagen ift und kann getroft an
eine Radimng von Kops herantreten, um fich die Augen rein zu baden
von all diefer beabfichtigten und ganz eigentümlich abftofsenden Ab-
fcheulichkeit.
Zum Schluffe feien noch einige neue Verfuche in der Buchaus-
rtattung erwähnt. So die mehr änderbaren als gelungenen Publicationen
»moderner Kunft« der Herren Bing & Co., die, nachdem fie den Japa-
nismus in Frankreich acclimatifirt haben, nun die uberlricbenften und
bizarrften Blüthen modernfter Kunft verfehleifsen. Malereien wie die
von Besnard, auf den alle Welt mit gefpannter Aufmerkfamkeit blickt,
feit die wunderbare Decoration des Amphitheaters der Chemie publicirt
worden ift, erkennen wir gerne an. Dagegen befitzen wir nicht das
geringftc Verftändnifs für den dicken Druck mit den vielen weisen
Zwifchenräumen, den ungehörigen Interpunctionen, den ganz kindifchen
Illullrationen, wenn man fie überhaupt noch fo nennen darf, und den
kurzen Texten von Rodenbach.
Auch diele Publiea'.ionen werden für künftige Bibliophilen mehr
eine Sache der Neugierde als eine Bereicherung ihrer Schätze fem, mehr
ein Be\vei5ftück für den Ungefchmack als für die Kunft unferer Zeit.
Im Ganzen find diefe Bücher geeigneter, um Kinder lefen zu
lehren oder gefchwächten Augen und abnehmender Verftandeskraft von
Greifen zu Hilfe zu kommen, als Kunflliebhaber zu erfreuen. Es find
allenfalls gelungene Scherze fürBibliomanen, nicht aber für Bibliophilen.
William Ritter.
Kunstblätter.
Hans Thoma, Kursblätter nach eigenhändig über
arbeiteten Original-Lithographien in Facfimile-Repro
duc~tion auf Carton. Zum
Theil zweifarbig. Einzel-
blätter im Format 40x50 cm.
IL Serie (Nr. 11 —20). Leipzig,
Breitkopf & Härtel. Preis je
2 Mark.
Diefes Unternehmen, von dem
wir in Nr. 3 diefer Blatter Mit-
theilung machten, fchreitet rüftig
vorwärts. Mit klugem Bedacht und
gefchickter Infeenirung weifs es
unfer Intereffe feilzuhalten und zu
fteigern.
Wahrend die erfle Serie noch
manches Blatt aufweht, das nur in
gröfserem Zufammenhange und als
Beitrag zur Clmrakteriftik einer
Künftlerindividualität Werth und
Bedeutung enthält, reiht lieh in der
zweiten Serie Perle an Perle,
eine reife vollgiltige Schöpfung an
die andere. Wie in einem Mikrokos-
mus oltenbaren lieh hier die drei
Grundelcmente unferes Cultur- und
Geifteslebens, das chriftlich-religiöfe
Empfinden, die deutfehe Naturpoefie
und das antike Heidenthum die
in Thomas Kunftfc haften eine
fcltene und eigenartige Vereini-
gung finden. Und diefe Vereinigung
aus den antiquarifchen Tendenzen unferer Zeit heraus geboren. Wer
die zehn Blätter der zweiten Serie betrachtet, wird mit Freude inne
werden, dafs Thoma
ein religiöfes Thema
ill durch und durch
Hans Th
efund, nicht
<ma, Harpye,
Blätter vertreten (Nr.
Reproduktion alles, w.
Würde lieh die Quali
fich immer gleich, immer wahr bleibt, ob er
behandelt (Nr. 11 Chriftus am Ölberg, Nr. 12
Leichnam Chrifti), ob er uns den
Zauber der Stimmungen vermittein
will, die fich in der Natur und in
einem typifchen Menfchenthum
äufsern (Nr. 14 Abend, Nr. 16
Taunuslandfchafi, Nr, i~ Geiger),
oder ob er die Phantaliegebilde der
griechifchen Welt zu neuem Leben
erweckt (Nr. IS Harpye, Nr 19
Centaurin am Wafferfall, Nr. 20
Tntnnenpaar). Wie mannigfaltig
er trotz alledem auch bei einem
und demfelben Stoffgebiet in der
Auffaffung und in den Ausdrucks-
mitteln ift, zeigt ein Vergleich z. B.
der Harpye und des Tritonenpaares.
Bei der erfteren fieigert die Fort-
entwicklung und Ausgeftaltung der
urfprünglichen Idee, ihre Zufammen-
fiimmung mit einer wilden LTm-
gebung die Vorftellung von der
raffenden Todesgöttin ins ger-
manifch Gefpenfterhafte, während
das ^Tntonenpaai« mit feiner Ruhe
und Stihlirung, die fich auch den
Naturvorgängen mittheilt, fall an
ein antikes Relief erinnert.
Zahlreicher als in der erften
find in der foeben erfchienenen
zweiten Serie die zweifarbigen
11, 13, 14, 16 und 20). Auch hier feiltet die
as man billigerweifc von ihr verlangen kann.
tat des Papieres jener der Originale noch mehr
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