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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.4069#0042
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— 38

Aus «Art et Decoratiott*

(Entwurf für ein Glasgemälät von Grasset.)

Tanz, Mufik, Komödie und Pantomime. Aber die flam-
menden Farben, reizend im hellen Sonnenlicht- der
Strafse, werden grell und unruhig im gedämpften Lieht des
Zimmers; ihr Gefammteindruck wird irritirend und un-
harmonifch. Eine ganz andere Stimmung finden wir bei
Grasset, den es ebenfalls gelockt hat, einige Wandbilder
zu entwerfen, ruhig und einfach in der Zeichnung, ohne
Verrenkungen, ohne Gefticulationen, in fanften ruhigen
Farben. Bis jetzt find 3 folcher Bilder erfchienen; eine
junge Frau träumerifch in einem Feld von Doldenpflanzen,
— eine überfeinerte Dame, mit pretenfiöfem Ausdruck eine
Blume lorgnettirend, die den charakteriftifchen Namen
Hahnenkamm führt. Diefer Hahnenkamm fleht in deco-
rativer und vielleicht auch fatirifcher Beziehung zu der
Frau, die ihn betrachtet; wenigftens find ihre Haare von
derfelben Farbe wie die Blume. Das dritte Blatt zeigt eine
fich niederbeugende Frau inmitten gelber Blumen. — Wie
man lieht, bildet die Blume ein Lieblingsmotiv diefes ge-
wiffenhaften und ehrlichen Künftlers, der ohne Rückficht
auf das Publicum immer in erfter Linie darnach trachtet,
fich felbft genug zu thun, und von dem man weifs, dals er
lieh mit geradezu väterlicher Liebe feinen Schülern widmet.
Seit einigen Jahren unternimmt auch das Haus Maine
in Tours den VerlaggrofserilluftrirterWerke. DasLeben
Jefu mit Illuftrationen von James Tissot ift gewifs eines
der bedeutendften und theuersten Bücher der Gegenwart.
Ganz im Gegenfatze zu der bisherigen Auffaffung, wie fie
von Schnorr, Guftave Dore, Bida, Werefchagin etc. getheilt
wurde, ift der Autor mit einer Unparteilichkeit vor-
gegangen, die man geradezu wiffenfehaftlich nennen mufs.
Er hat die Evangelien an Ort und Stelle gelefen, ift ein-
gedrungen in ihre — wir möchten fagen — geographifchen
und ethnographifchen Züge, hat He mit Land und
Leuten verglichen, wie fie fich heute dem Auge dar-
bieten und wie fie fich wahrfcheinlicherweife kaum
geändert haben dürften, und diefe Confrontation des
Textes mit dem Orte ift die Balis feiner Arbeit geworden.
Nie wird eine wahrfcheinliche Wirklichkeit dem Wunfeh,
einen Effect hervorzubringen geopfert, nie der Virtuolität

oder Senfationsluft Spielraum gelaffen. Scenen, wie der
Betlehemifche Kindermord oder die Taufe Jefu erreichen
die grofse Intenfität ihrer Wirkung, gerade weil es evident
erfcheint, dafs die Dinge lieh geradefo zugetragen haben
muffen, obwohl fie jedem andern bisher gemachten Ver-
fuch einer Reconftitution gerade entgegengefetzt lind
Selbftverftändlich handelt es fich hiebei um die Arbeit
eines — nahezu — ganzen Lebens, um das Ergebnis
einer Ausdauer und Geduld, das die Befucher des Salon
von 1805 mit Staunen erfüllte und das man eher geneigt
war, einem Mönch als einem fo weltlichen Künftler wie
Tissot zuzufchreiben. Eine neue Bekräftigung des alten
Satzes, dafs nicht die Kutte den Mönch macht.

Neben diefer aufserordentlich forgfältig ausgeführten
und natürlich auch entfprechend theuren Publication gab
das Haus Marne in diefem Winter auch ein fehr be-
merkenswerthes Buch über Tunis heraus, Text fowohl
als Illuftration von Gafton Vuillier, diefem Dichter,
Weltreifenden und Maler, den wir als Künftler und Schrift-
fteller aus zahlreichen Werken kennen. So aus feinen
illuftrirter] Arbeiten über die Sevennen, aus der Reife
um die Welt, die eine umfo lebhaftere Überrafchung
hervorriefen, als man bisher nicht gewöhnt war, in folehen
Sammelwerken einer fo lebendigen und perfönlichen
Kunltweife zu begegnen, die zugleich mit der ganzen
Präcifion arbeitet, wie fie folche Specialwerke ver-
langen. Dann folgten Schlag auf Schlag prachtvolle
Publicationen. lies oubliees, worunter die Balearen,
Corfica und Sardinien gemeint find, dann Sicilicn und
Tunis. Wir finden hier alle glänzenden Qualitäten Gafton
Vuilliers, des feinfinnigen Entdeckers alles Pittoresken.
Die Übertragungen durch Holzfchnitt und Farbendruck
zählen unter den vielen Verfuchen der letzten Jahre in
diefer Richtung keineswegs zu den mifsglückten.

In der gegenwärtigen Kunftbewegung bemerken
wir eine neue erwachte Vorliebe für den Kunftdruek. Sie
hat fich namentlich in einem plötzlichen Intereffe für die
Affiche Luft gemacht. In Frankreich und Belgien ift
allerorten eine Blüthezeit für alle Gattungen des Druckes
und für die verfchiedenartigften Reproductionsverfahren
angebrochen. Die Verfuche in Farben nehmen zu, wir
brauchen nur - Die Recruten« zu nennen, eine farbige
Lithographie, in der Georges Jeanniot mit geradezu
graufamem Griffel das nackte Masculinum blofsftellt
und detaillirt. Er führt diele durch das moderne Leben
deformirten Männergeftalten unter Umftänden vor, unter
denen fie wohl lächerlicher erfeheinen als je. Übrigens
ift man an derlei Dinge faft fchon gewöhnt, denn wohl
noch zu keiner Zeit waren die Künftler fo graufam gegen
das Nackte als heute. Allerdings liefert das tägliche
Leben neben den Modellen, die fich ein Makart, Felicien
Rops, Max Klinger und Franz Stuck geftatten konnten,
Vorbilder von den Strafsen und Gaffen der Hauptftädte
in's Atelier, wie fie kaum widerwärtiger gedacht werden
können: Dirnen und Tagediebe. Daher wohl in der
modernen Kunft diefer Überflufs an Werken, die, heute
 
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