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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.4069#0050
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ciung von neuem an den goldenen Saiten jener Harfe
rührt, die einlt in den Wäldern der heidnifchen Ger-
manen ihre Grundftimmung erhalten hat, horcht Alles auf,
Alt und Jung beginnt mit zu fabuliren, Strophe fügt lieh
an Strophe, und das alte Lied wird in ftimmungsvoller
Weife fortgefetzt. Die Melodie bleibt ftets die gleiche, de
entfpringt jenem tiefen Gefühl für die Zufammengehörig-
keit des Menfchen mit der Natur, jenem naiven Ahnen
unverdorbener Gemüther vom geheimnifsvollen Schlag
der Fäden, hinüber, herüber, ohne Ende.

So fabulirt auch Hermann Vogel fchon feit Jahren
und ift kürzlich mit drei Illuftrationswerken, fämmtlich
im Verlag von Braun & Schneider, vor das Publicum ge-
treten, die uns einen
umfallenden Blick
in fein Schaffen
gewähren. So un-
modern fein Werk
auch



nimmt uns alsbald ge-
fangen. Jugendträume
erwachen, was an Ro-
mantik noch in unferer
Seele fchlummert, fangt
an lieh zu regen und
allmählich fühlen wir
uns eingefponnen in die
Fäden feiner holden
Kunft.

»Waldbilder« hat er eine Sammlung von 18 Helio-
gravüren nach feinen Zeichnungen genannt, die in einer
.Mappe vereinigt, eine poetifche Schilderung des Waldes
bieten. Nixen und Zwerge bevölkern laufchige Waldgründe
und treiben inmitten allerlei Gethiers ihr harmlos
neckifches Spiel. Bald h«.t eine Nixe mit ihrem Fifch-
fchwanz ein Zwerglein um die Mitte gepackt und will es
herabziehen zu lieh ins Waffer, es klammert lieh aber
krampfhaft an einen Alt und fträubt lieh gegen das naffe
Element. Bald locken die Zauber der Mondnacht Nixen
und Elfen an die Oberfläche des Waffers. Amor legt dem
pürfehenden Jäger gefährliche Fallen. Reinecke hält auf
Malepartus ftrenge Zucht. Zwerge poculiren und muficiren
in lauer Sommernacht. Den fchlafenderi Klausner um-

fchwärmt das lockere Volk der Seejungfrauen. Kurz
überall drängt lieh und verfängt fich luftige Geiftervvelt,
am meiften und am liebften dort, wo Menfchen wähnen,
recht einfam und allein zu fein. Dann folgen in wechfel-
voller Reihe Frühlingsftimmung und Herbftfchauer wie
im »Oftermorgen« und im »November«, weltentrücktes
Märchenidyll wie im »Sneewittchen« und in der »Hexen-
küche« oder ftimmungsvolle Realität wie in »Waldfrau«
und »Weidmannsheil«. Manches Blatt vermag wohl neben
den genannten nicht völlig Stand zu halten. »Das Wald-
geheimnifs« und »Es war einmal» findet man zu füfslich,
auch den Bildern mit religiöfen Anklängen wie »Chrift-
abend« und »Madonna im Walde« fehlt es an echtem
poetifchem Reiz. In letzterem will Vogel fichtlich modern
fein; dem widerfpricht aber fein künfilerifches Wefen in
jeder Linie. Wo er dagegen feine Sphäre nicht über-
fchreitet, bleibt er durchaus ergötzlich.

Wer ihn voll und frei von allen Schlacken fremd-
artiger Einflüfse geniefsen will, der nehme feine Märchen-
illuftrationen zur Hand, vor allem den Band der
Grimm'fchen Kinder- und Hausmärchen. Da fühlt
fich der Künftler zu Haufe, da erblühen Prinzeffinnen in
holdfeliger Schönheit, da fchmachten verzauberte Königs-
föhne herzbeweglich in trauriger Verwandlung, da humpeln
die Hexen und fchaffen die Zwerge, da fchnurren die Kater
und krächzen die Raben, da vereinigen fich Wirklichkeit
und Märchenmetaphysik zu dichtem, reizvollen Gewebe,
das wir mit ungetheilter Freude geniefsen und bis ins
kleinfte Detail zu verfolgen nicht müde werden. Gerade
diefes Detail ift ja Vogels Hauptftärke. Immer wieder
weifs er etwas hinzuzufügen, der engfte Raum genügt, um
noch eine liebenswürdige Kleinigkeit, ein Pflänzlein,
einen Vogel, ein Mäuschen anzubringen und fo entlteht
ein Mofaik aus heiteren Einfällen, dem ein gemüthvolles,
contemplatives Behagen, das über das Ganze aus-
gegoffen ift, Einheit verleiht. Grol'se Züge fuchen wir
vergeblich. Es ift die am Nebenfächlichen haftende Phan-
tafie des Kleinftädters, der Humor des ftillen Beobachters,
dem keine grofsen Aufregungen den Seelenfrieden rauben.

Das dritte der hier zu befprechendenllluftrationswerke
führt den von vornherein mifstrauifch machenden Titel
»Album« — »Hermann Vogel-Album«. Was ift ein
Album? Ein Ding, fo charakterlos, dafs man keinen Namen
dafür findet, ein Alles und Nichts, ein Allerweltsdiener für
Weihnachtstifche und Geburtstagsüberrafchungen. Man
follte eine Kunftblätter-Sammlung, der man Ehre erweifen
will, heute in der Ära der Briefmarken- und Leporello-
Albums, nicht mehr unter folchem Namen in die Welt
fchicken. Er comprimittirt. Sieht man fich die Publication
näher an, dann findet man allerdings hie und da ein rechtes
»Albumblatt«, lieft man jedoch den dazugehörigen Text,
dann wird man gegen den Illuftrator milder geltimmt und
verzeiht ihm Vieles. Die meiften der Gedichte lind echte
Album-Poefie, zu der Vogels koftlich gezeichnete Selbft-
ironie, die wir hier als Schlufsftück bringen, viel beffer
paffen würde als auf feine eigenen hübfehen Verfe, unter
 
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