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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.4069#0054
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Befitz des Mufeums nicht ausreicht, aus Privatfammlungen zu einer
gewiffen Vollftändigkeit abgerundet werden und durchfehnittlich drei
Monate dauern. Die erRe diefer Ausfüllungen (Februar bis Juli 1897)
galt dem Neflor der franzöfifchen Radirer, Felix Bracquemond. Der
von Leonce Benedite verfafste, mit einigen kleinen Abbildungen
gefällig ausgefluttete Katalog befchreibt 115 Nummern, neben einigen
reproducirenden meiftensOrginalarbeiten und wenige Zeichnungen fowie
Aquarellen. Eine Einleitung gibt die mtereffante Gefchichte der fort-
wahunden Verfuche, die graphifchen Sammlungen des Luxembourg-
Mufeums für das Publicum nutzbar zu machen. Sie waren fo lange
fruchtlos, bis man das Syftem der Händigen Ausheilung des ganzen
Befitzftandes endgiltig aufgab.

Literatur.

La vie et les oeuvres de Jean Etienne Liotard.
Par E. Humbert, A. Revilliod, J. W. R. Tilanus.
Amfterdam, Van Gogh. Vienne, Artaria, 1897.

Das erfte Capitel des Buches enthält die Biographie des Künftlers
von dem verdorbenen Genfer Profeffor E. Humbert, die von der Gazette
des beaux-arts in den Jahren 18S8 und 1889 veröffentlicht worden ift.
Dann folgt ein Neudruck von Liotards Traite des prineipes et des
regles de la peinture (Genf 1781). Die letzten vier Capitel geben den
forgfältig gearbeiteten Katalog der Bilder, Zeichnungen, Reproduktionen
u. dgl. Zwei vorzügliche Heliogravüren und 74 Photogravuren fchmücken
den auch fonft fchön ausgestatteten Band.

Das Leben Liotards (1702— 1789), wie wir es jetzt an der Hand
des neuen Buches verfolgen können, war fehr bewegt. Berühmt ift
feine Reife in den Orient. Von grofser Bedeutung war auch für ihn der
mehrmalige Aufenthalt in Wien. Zuerft kam er im Jahre 1743 in untere
Stadt, wo er fich der Gunft des Hofes erfreute und ftark befchäftigt
wurde. Leider muffen die Verfaffer den gröfsten Theil diefer Werke als
unauffindbar bezeichnen. Zuletzt war er noch am Abende feines Lebens
(1777/78) in Wien, diefes Mal aber litt er flark unter den Erfolgen eines
Nebenbuhlers, des Schweden Roslin.

Hier hat Liotard auch jenes Werk gefchaffen, dem er heute
feinen Weltruf verdankt, das Chocolademädchen der Dresdener Galerie.
23 Reproduktionen führen die Verfaffer an und diefe Zahl liefse fich noch
vermehren. Ich möchte mir erlauben, auf einen Punkt in der Gefchichte
diefes Bildes näher einzugehen, umfoeher, als ich dadurch einen kleinen
Irrthum des trefflichen Kataloges der Herren Revilliod und Tilanus
berichtige. Es handelt lieh dabei um die Bemerkung, das Chocolade-
mädchen fei das Porträt der Anna Baldauf, fpäter Füi'ftin Dietrichftein.
Diefe Angabe, früher allgemein verbreitet und auch m alleren Dresdener
Galeriekatalogen zu finden (zuerft, wie Herr Director Würmann mir
gütigft mittheilt, in dem Verzeichniffe vom Jahre 1846), fcheint zwar
in der letzten Zeit fallen gelaflen wurden zu fein, doch ift mir eine
begründete Widerlegung nicht untergekommen. Anna Baldauf ift eine
aus der Wiener chronique scandaleuse des XVIII. Jahrhunderts wohl-
bekannte Perfönlichkeit. Sie war am 6. Februar 1757 geboren und die
Schwerter eines Fiakers. Noch heute gibt es in Wien Kleinfuhrleute mit
Namen Baldauf. Nach einem fogenannten lockeren Lebenswandel wurde
fie 1802 die zweite Frau des Fürlten Johann Carl Dietrichftein, deffen
Geliebte fie feit vielen Jahren gewefen war. Sie ftarb zu Wien am
25. Februar 1815 (nach dem amtlichen Todtenprotokolle 60 Jahre alt,
was mit dem fonft angegebenen Geburtsdatum nicht ganz stimmt). Die
Unrichtigkeit der Anfleht, das von Liotard gemalte Stubenmädchen
fei das Porträt Anna Baldaufs, ergibt fich daraus, dafs diefes Bild
bekanntlich 1745, alfo lange Zeit vor ihrer Geburt, von Algarotti für
Dresden gekauft worden ift. Adam Wolf lägt in feinem Buch über die
Furftin Eleonore Liechtenstein (Wien 1875), dem ich zum Theile die
obigen biographifchen Angaben entnommen habe, Anna Baldauf fei
auch >la belle chocolatiere« genannt worden. Vielleicht ift diefer Bei-

name der Anlafs zu der fpäteren Identifizierung gewefen, wenn fich nicht
umgekehrt A. Wolf durch eine dunkle Erinnerung daran zu diefer
Bemerkung hat verleiten laffen, wenigflens gibt er keine Quelle dafür an

A. T.

Le Romantisme et l'editeur Renduel. Par Adolphe
Jullien. Paris, Charpcntier et Fasquelle. 1897.

Der Verfaffer der bekannten Prachtwerke über Berlioz und
Richard Wagner behandelt in liebenswürdigem Plauderton einen
wichtigen Abfchnitt franzöfifcher Litteraturgefchichtc, die Romantik
der Dreifsigerjahre. Den Mittelpunkt bildet Eugene Renduel, der vor-
nehmfte Parifer Verleger jener Zeit, bei dem die Werke eines V. Hugo,
Gautier, Gerard de Nerval, Alfred de Vigny, Musset. Heine, um nur die
wichtigften Namen zu nennen, in den heute fo koftbaren erften Aus-
gaben erfchienen find. Un catalogue d'Eugene Renduel, fagt Jules Janin.
est plus interessant ä lire quo tousles livres qu'on ecrit aujourd'hui. Lern
Verfaffer find für fem Buch nicht nur perfönliche Erinnerungen aus dem
Verkehre mit dem alten Buchhändler zur Verfügung geftanden, fondern
auch deffen reiche Sammlungen, deren glücklicher Befitzer er ift.
Bücher, Bilder, Zeichnungen, Autographen etc., wovon er vieles in
Abbildungen vorführt. Dadurch bietet die Schrift einen beachtens-
werten Beitrag zur Gefchichte des Kunftdruckes und der Buch-
illuftration. Künftler wie Raffet, Gigoux, Deveria, H. Monnier,
Boulanger haben für Renduel gearbeitet, vor allen aber Tony Johannot
und Celeftin Nanteuil. Die Vorliebe für das Schreckliche, die fich oft
fchon in den Titeln der Bücher verräth, zeigt fich auch in den für die
Illuftrationen gewählten Scenen. Als Seltenheiten feien befonders die
Radirungen Nanteuils zu Mussets Spectacte dans un fauteuil hervor-
gehoben, die auf Wunfeh des Dichters nicht veröffentlicht wurden.
Schliefslich erwähne ich noch unter den Abbildungen Cancaturen von
Roubaud und Porträtlithographien von Leon Noel und Gigoux. Die
geringe Güte eines Theiles der Reproduciioncn mag der niedrige Preis
des Buches entfchuldigen. A. T.

Renaiffance in der Schweiz. Studien über das Ein-
dringen der Renaiffance in die Kunft diesfeits der Alpen,
von Gultav Schneeli. Mit 30 Einfchaltbildern und
54 Textilluftrationen. München, Verlagsanftalt F. Bruck-
mann A.-G. 1896.

Der Hauptzweck, den der Verfaffer diefes Buches fich gefleht
hatte, war der Nachweis, dafs der Auflüfungsprocefs der mittel-
alterlichen Kunft, den wir als deutfehe Renaiffance zu bezeichnen
uns gewöhnt haben, im Wefentlichen durch die graphifchen Künlte
herbeigeführt worden ilt. Kein deutfeher Künftler dachte um das
Jahr 1500 daran, nach Italien zu gehen, um dort etwas zu erlernen,
was er in der deutfehen Heimat nicht hätte erlernen können, und wofern
Einen einmal die Gefchäfte über die Alpen führten, wie z. B. Dürer
im Jahre 1506, fo fehen wir ihn unbeirrt feine nationale Weife ver-
folgen und geradezu ablichtlich die Augen vordemFremdenverfchliefsen
Nur die Erzeugniffe der graphifchen Künfte, und zwar ganz befonders
diejenigen formal ornamentalen Charakters, erfchienen im Norden als
begehrte Gufte und fanden überall willige und begeifterte Aufnahme.
aus Gründen, die Schneeli aus den culturhiftorifchen Verhältniflen
Deutfchlands abzuleiten mit Erfolg bemüht ift. Dafs er fich dabei auf
die Unterfuchung der bekannteften Erfcheinungen in der Schweiz allein
befchränkt hat, mindert nicht die Bedeutung feiner Ergebniffe für die
deutfehe Kunftgefchichte im Allgemeinen: und doch find aus diefei
Schweizer Bewegung nicht blofs locale Gröfsen wie Urs Graf und
Manuel Deutfeh hervorgegangen, fondern auch de, gtulsle und genialfte
Repräfentant dei deutfehen Renaiffance überhaupt, Hans Holbein der
Jüngere. R8>-

Manuscripte und Correspondenzcn für die „Mittheilungen"
sind an die Redaction der „Graphischen Künste" Wien, VI., Luft-
badgasse 17 zu richten.
 
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