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DIE MUCHA-AUSSTELLUNG IN PARIS.
Am 5. Juni wurde im Salon des Cent die Ausstellung
des gesammten Werkes des trotz seiner Jugend (er zählt
erst 37 Jahre) bereits berühmten decorativen Künstlers
Alphonse Mucha eröffnet. Da er zufällig in Mode ist, war
der Erfolg ein colossaler; die Begeisterung des Pariser
Publicums war, wie immer, wenn man in Paris sich für
etwas begeistert, ausser Rand und Band. Das ging so weit,
dass man es im Interesse des Künstlers fast bedauern
möchte, denn gewöhnlich folgt auf einen solchen Paroxis-
mus von Begeisterung, bei der grossen Menge im all-
gemeinen und bei der Pariser Menge insbesonders,
Abspannung, Überdruss und Ungerechtigkeit. Aber die
Kunst Muchas ist ernster zu nehmen, als man vielleicht
glaubt, und verdient Besseres, als ein Strohfeuer, ein erstes
Aufflammen der Bewunderung, worauf nichts folgen
würde als die Asche der Fastenzeit.
Man erzählt sich, Alphonse Mucha wäre von Sarah
Bernhardt in Prag entdeckt und von ihr nach Paris ge-
bracht und lancirt worden. Die Wahrheit ist weniger
sensationell, dafür viel ehrenvoller. Nach Leon Deschamps
wurde Alphonse Marie Mucha in Ivancica (?) in Mähren
geboren, besuchte die Münchener Akademie, übernahm
dort, um leben zu können, neben seinen Cursen alle Ar-
Umschlag der Zeitschrift „La Piume". Von A. Mucha.
beiten, die sich darboten, ging von Mühchen nach Wien,
wo er kein Glück hatte, ebensowenig wie in Paris, wohin
er sich von Wien aus begab. So schlug er sich eine
Weile kümmerlich durch, bis er 1890, vom Heimweh
erfasst, nach seinem Geburtsort in Mähren zurück wollte.
Er gelangte jedoch nicht bis an sein Ziel, denn seine Bar-
schaft war bald erschöpft, aber er erreichte wenigstens
sein engeres Vaterland und ging in dem nächstbesten
Dorfwirtshaus daran, Landschaften zu zeichnen, die er
verkaufen wollte, eine Speculation, die auch dem Ferner-
stehenden einen Beweis von seltener Localunkenntnis zu
verrathen scheint. In diesem Moment war es, erzählt der
französische Biograph Victor Champier, dass der Eigen-
thümer des benachbarten Schlosses, ein Graf Khuen-
Emmasof (?), mit ihm zusammentraf und ihn veranlasste,
den Spielsaal seines Schlosses mit Fresken auszu-
schmücken. Von diesem Tage an blieb der Graf sein
Protektor und sandte ihn nach einem Jahr, mit einer
kleinen Pension, nach Paris, um seine Studien zu voll-
enden.
Von da an sieht man den jungen Mann in der
Akademie Julian und in den Ateliers Lefevre, Boulanger
und Jean Paul Laurens. Immer häufiger trifft man seinen
Namen in den illustrirten Zeitschriften. Aber erst dieAffiche
Gismonda, die erste der prachtvollen Serie für Sarah
Bernhardt, machte ihn über Nacht berühmt. Von da an ist
jede seiner Affichen, jeder von ihm illustrirte Band ein
Ereignis.
Die Ausstellung in der rue Bonaparte enthielt bei
450 Nummern, in folgende Rubriken eingereiht: Affichen,
Kalender, Heftumschläge, Menukarten und Programme,
decorative Panneaux, Entwürfe für Glasmalereien, Illu-
strationen und Gelegenheitsstücke, endlich einige Porträts,
darunter ein Selbstporträt des Künstlers, eine Anzahl
Aquarelle, einige allegorisch und symbolisch, die andern
realistisch: l'hiver, la neige, le printemps, le carillon
de Päques reveillant la nature, l'orgueil, l'envie, la
paresse, eine Salammbo und endlich das Hotel de
ville de Paris pendant les fetes franco-russes, ein
wirklich historisches Stück, das König Milan von Serbien
erworben hat. Es war durch Skizzen nach dem Leben
vorbereitet, die das Volksgewimmel mit dem ganz spe-
ciellen Charakter der Nervosität und Eleganz, wie er der
Pariser Menge eigen ist, darstellten. Darin sprach sich
aber eine solche Schnelligkeit des augenblicklichen Er-
fassens und ein so unmittelbares Gehorchen der Hand
aus, dass man geneigt wäre, eher von einem Stenographen
Ein grosser Theil der hier besprochenen Arbeiten Muchas ist gegenwärtig bei Artaria & Co. (Wien, I., Kohlmarkt 9) ausgestellt. Die
Cliches unserer Abbildungen hat die Redaflion der Zeitschrift »La Plume« freundlichst zur Verfügung gestellt. D. R.
DIE MUCHA-AUSSTELLUNG IN PARIS.
Am 5. Juni wurde im Salon des Cent die Ausstellung
des gesammten Werkes des trotz seiner Jugend (er zählt
erst 37 Jahre) bereits berühmten decorativen Künstlers
Alphonse Mucha eröffnet. Da er zufällig in Mode ist, war
der Erfolg ein colossaler; die Begeisterung des Pariser
Publicums war, wie immer, wenn man in Paris sich für
etwas begeistert, ausser Rand und Band. Das ging so weit,
dass man es im Interesse des Künstlers fast bedauern
möchte, denn gewöhnlich folgt auf einen solchen Paroxis-
mus von Begeisterung, bei der grossen Menge im all-
gemeinen und bei der Pariser Menge insbesonders,
Abspannung, Überdruss und Ungerechtigkeit. Aber die
Kunst Muchas ist ernster zu nehmen, als man vielleicht
glaubt, und verdient Besseres, als ein Strohfeuer, ein erstes
Aufflammen der Bewunderung, worauf nichts folgen
würde als die Asche der Fastenzeit.
Man erzählt sich, Alphonse Mucha wäre von Sarah
Bernhardt in Prag entdeckt und von ihr nach Paris ge-
bracht und lancirt worden. Die Wahrheit ist weniger
sensationell, dafür viel ehrenvoller. Nach Leon Deschamps
wurde Alphonse Marie Mucha in Ivancica (?) in Mähren
geboren, besuchte die Münchener Akademie, übernahm
dort, um leben zu können, neben seinen Cursen alle Ar-
Umschlag der Zeitschrift „La Piume". Von A. Mucha.
beiten, die sich darboten, ging von Mühchen nach Wien,
wo er kein Glück hatte, ebensowenig wie in Paris, wohin
er sich von Wien aus begab. So schlug er sich eine
Weile kümmerlich durch, bis er 1890, vom Heimweh
erfasst, nach seinem Geburtsort in Mähren zurück wollte.
Er gelangte jedoch nicht bis an sein Ziel, denn seine Bar-
schaft war bald erschöpft, aber er erreichte wenigstens
sein engeres Vaterland und ging in dem nächstbesten
Dorfwirtshaus daran, Landschaften zu zeichnen, die er
verkaufen wollte, eine Speculation, die auch dem Ferner-
stehenden einen Beweis von seltener Localunkenntnis zu
verrathen scheint. In diesem Moment war es, erzählt der
französische Biograph Victor Champier, dass der Eigen-
thümer des benachbarten Schlosses, ein Graf Khuen-
Emmasof (?), mit ihm zusammentraf und ihn veranlasste,
den Spielsaal seines Schlosses mit Fresken auszu-
schmücken. Von diesem Tage an blieb der Graf sein
Protektor und sandte ihn nach einem Jahr, mit einer
kleinen Pension, nach Paris, um seine Studien zu voll-
enden.
Von da an sieht man den jungen Mann in der
Akademie Julian und in den Ateliers Lefevre, Boulanger
und Jean Paul Laurens. Immer häufiger trifft man seinen
Namen in den illustrirten Zeitschriften. Aber erst dieAffiche
Gismonda, die erste der prachtvollen Serie für Sarah
Bernhardt, machte ihn über Nacht berühmt. Von da an ist
jede seiner Affichen, jeder von ihm illustrirte Band ein
Ereignis.
Die Ausstellung in der rue Bonaparte enthielt bei
450 Nummern, in folgende Rubriken eingereiht: Affichen,
Kalender, Heftumschläge, Menukarten und Programme,
decorative Panneaux, Entwürfe für Glasmalereien, Illu-
strationen und Gelegenheitsstücke, endlich einige Porträts,
darunter ein Selbstporträt des Künstlers, eine Anzahl
Aquarelle, einige allegorisch und symbolisch, die andern
realistisch: l'hiver, la neige, le printemps, le carillon
de Päques reveillant la nature, l'orgueil, l'envie, la
paresse, eine Salammbo und endlich das Hotel de
ville de Paris pendant les fetes franco-russes, ein
wirklich historisches Stück, das König Milan von Serbien
erworben hat. Es war durch Skizzen nach dem Leben
vorbereitet, die das Volksgewimmel mit dem ganz spe-
ciellen Charakter der Nervosität und Eleganz, wie er der
Pariser Menge eigen ist, darstellten. Darin sprach sich
aber eine solche Schnelligkeit des augenblicklichen Er-
fassens und ein so unmittelbares Gehorchen der Hand
aus, dass man geneigt wäre, eher von einem Stenographen
Ein grosser Theil der hier besprochenen Arbeiten Muchas ist gegenwärtig bei Artaria & Co. (Wien, I., Kohlmarkt 9) ausgestellt. Die
Cliches unserer Abbildungen hat die Redaflion der Zeitschrift »La Plume« freundlichst zur Verfügung gestellt. D. R.