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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.4072#0013
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»Der Gedanke an das Unendliche«. Von Sascha Schneider.

willkommenste Ausdrucksmittel für einen in der Regel
ausserhalb des engeren Kreises der christlichen Lehre
stehenden Gedanken.

Christus ist für ihn die ideale Weltanschauung über-
haupt. Judas bedeutet ihm den Verrath am Ideal. Hat er
ihn früher als einen von Gewissensbissen bis zum Wahn-
sinn Gepeinigten, in Dornen Gehüllten, auf glühenden
Silberlingen Schreitenden, von qualvollen Phantomen Ver-
folgten dargestellt, so zeigt er ihm jetzt in dem Bilde Ein
Wiedersehen vor Chriftus kniend, den Sündenlohn in
verzweifelt wilder Geberde von sich streckend, während
Christus mit einem Zug wehmuthsvoll forschenden In-
teresses ihn anblickt, als wollte er sagen: Judas, einst mein
Freund, mein Jünger, und nun welch' ein Abgrund von
Schmach und Verzweiflung liegt zwischen uns! Diese
milde Regung gegen den Verbrecher, die ein Verzeihen
nicht auszuschliessen scheint, wird durch je zwei Gestalten
paralysirt, die hinter beiden stehen, Engel mit den Marter-
werkzeugen einerseits, der Teufel und die Gerechtigkeit
anderseits. Auch auf dem Bilde Eins ist not, wo Christus
den Zuhörern predigt, so wie im Triumph der Finster-
nis und in Es ist vollbracht handelt es sich um

Verherrlichung des Ideals, das sich immer von neuem
verblutet und die Welt aus allgemeiner Versunkenheit
zu sich emporzieht. Die beiden letztgenannten Blätter
gehören vielleicht zu den ergreifendsten der ganzen Serie.
Im Triumph der Finsternis liegt der Leichnam Christi
horizontal auf seinem Grabstein hingestreckt, und hinter
dem Stein, den Herrscherstab in der Linken, steht die
Gestalt der Finsternis. Der Kopf erinnert an den Typus
assyrischer Herrscher, mit sinnendem Ernst im Auge und
bitterem Hohn auf den Lippen steht er in aufrechter
Erhabenheit da, aber nicht das geringste Zeichen von
Glück oder Freude über seinen Sieg erhellt die harten
Züge. Packend sind die Contraste im Ausdruck der beiden
Köpfe, dem ergreifend edlen Antlitz des Heilands, über
dessen Todesstarre ein leiser Hoffnungsschimmer ruht,
und dem ernsten Haupt des Herrschers voll trostloser
Kälte. Die düstere Stimmung wird erhöht durch ein Paar
Riesenflügel, die an den Schultern der Finsternis ansetzen
und wie der schwarze Mantel der Nacht sich über das
Bild ausbreiten. — Wie anders das Gegenstück, Es ist
vollbracht. Der Sieg der unendlichen, Mensch gewor-
denen Liebe über die Mächte der Finsternis ist nie
wahrhafter geschildert worden wie hier. Zu Tode getroffen
stürzt der Böse rücklings zur Erde hin, im Sturze noch
sein Knochenscepter hoch erhebend. In geradezu antiker
Hoheit schwebt ihm gegenüber die herrlich edle Gestalt
des gekreuzigten Heilands heran, seine Arme noch an's
Kreuz genagelt, das aber nun zum Lichtschein verklärt
ist. Das Bild ist der ergänzende Gedanke zur früheren
Composition, die Antwort auf eine Frage, die Befreiung
des Gemüthes von schwerem Drucke.

Aus einem ähnlichen Gedankenkreise heraus com-
ponirt erscheint das Bild: Um eine Seele. Mit müdem
Ausdruck in den männlich kräftigen Zügen liegt der
Jüngling zur Erde hingestreckt. Der Tod hat einen ehr-
lichen Streiter, dem es ernst war mit der Aufgabe des
Lebens, von seiner Qual erlöst. Gierig kommt der Böse her-
gestürzt und blickt drohend und doch zögernd nach dem
Engel, der die Rechte des Todten bereits erfasst hat, und
noch abwartend, wenngleich mit der sichern Ruhe des
Gerechten, dem Teufel ins Auge sieht. Dieses zaudernde
Abwägen der Macht auf beiden Seiten, Wehmuth, Gelassen-
heit und Güte auf der einen, wilde Gier und Bosheit auf
der andern, deutet in meisterhafterWeise die Seelenkämpfe
an, die der todte Jüngling im Laufe seines Lebens durch-
gekämpft hat.

Ebenfalls in religiösen Vorstellungen sich bewegende
oder sie tangirende Compositionen sind: Herr der Erde,
Eine Vision (ein stark an michelangeleske Ausdrucks-
weise gemahnendes Bild) und Christus in der Hölle.
Andere dagegen stehen diesen Kreisen völlig ferne. So D e r
Anarchist, Sclave des Mammon, Der Gedanke an
das Unendliche, Das Gefühl der Abhängigkeit
und Der Gram. In den letzten drei Compositionen sind
abstracle Begriffe mit geradezu visionärem Blick in die
geheimsten Tiefen des Seelenlebens erfasst und wieder-
 
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