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noch Selwyn Image anführen, dessen «Verkündigung
Mariens • und «Bergpredigt» sehr gute dekorative Eigen-
schaften besitzen, sie lassen diese Tafeln — die erstere
besonders — zu einem wunderbaren Kirchenfenster
geeignet erscheinen.
Auf Anregung des Kunstkritikers Roger Marx
hat der Buchhändler Larousse für die französischen
Volksschulen ein gleichartiges Unternehmen versucht,
aber rein materialistisch, d. h. dem Geiste der unent-
geltlichen obligatorischen Elementarschule gemäss, der
unter dem Vorwand des Anticlericalismus kurz und
bündig Gott und das Evangelium aus der Schule verjagt
hat. Deshalb gibt es hier keine idealisierten Scenen,
keine dekorativen Entwürfe, die an die Kirche, die
christlichen Feierlichkeiten und an das Paradies erinnern
und zu hoffen lehren, man sieht keine schönen Farben
wie in der alten Malerei, im Gegentheil vollkommen
realistische Bilder; sie sind beinahe den ödesten Gegen-
den Frankreichs entnommen, auf die alltäglichste Art
dargestellt, bar jeder Poesie, auch in den kleinsten Details
ohne Empfindung und liebevolles Verständnis für kind-
liches Wesen. Die Tendenz springt sofort ins Auge: man
will nicht Seelen, sondern Menschen bilden.
Die erste Serie ist ziemlich schlecht «Die Früchte
der Erde» benannt. Denn die Titel unter den Bildern
beziehen sich nicht nur aut das Getreide, sondern auch
auf den Wald, die Heerde und den Wein, Dinge, die man
kaum ohne allzu grosse Gefälligkeit als •■ Früchte» der Erde
betrachten kann. Die Franzosen werden uns vielleicht
beschuldigen, hierin eine deutsche Haarspalterei zu leisten.
Aber wenn man einmal die Genauigkeit der französischen
Sprache so sehr rühmt, muss die Schule der letzte Ort
sein, wo man derartige Genauigkeit lehrt: denn ich gestehe,
dass ich nicht nur nicht begreife, wie man die Herde eine
«Frucht» der Erde nennen kann, sondern auch wie man
als «Herde» zwei magere kleine Kühe bezeichnen kann,
die sich im Hintergrunde einer weiten Landschaft verlieren,
während im Vordergrunde ein kleiner Knabe und ein
kleines Mädchen ein grosses Feuer anzünden, um sich
gegen die herbstlichen Nebel zu wärmen. Nicht das
geringste Blümchen auf dem Boden! Moreau-Nelaton,
der Schöpfer dieser ganzen Serie, deren starke, kräftige
Eigenschaften nur ein Mann verstehen kann, scheint
sich an Millet begeistert und vor allem beabsichtigt zu
haben, die Kinder für das Verständnis der naturalistischen
Malerschule und an der Farblosigkeit des Pleinairismus
heranzubilden. Seine Compositionen werden daher auch
sehr selten verlangt und ist es ein Zufall, wenn man sie
irgendwo vorfindet, sie sind fast einfarbig, sie haben die
Farbe des Erdbodens bei der Annäherung des Winters
und sind von herzzerreissender Traurigkeit, sie scheinen
laut zu verkünden, dass das Leben sehr hart ist, die
Arbeit sehr mühsam undjedes Reizes baar. Die Kinder, die
in dieser Schule unterrichtet werden, werden wenigstens
keine Illusionen vom Leben haben, werden sie deshalb
besser sein?
L.H1VER
Der Winter. Aus den Images Murales. Von Henri Rivüre.
Dagegen müssen wir auf eine sehr schöne Arbeit
Henri Rivieres aufmerksam machen, «Der Winter», der
allgemeinen Beifall findet. Das »Rothkäppchen« von
Willette aber ermangelt jeder Natürlichkeit und die
Schüler, an welche es sich wendet, besuchen wohl mehr
schon die chambres separees als die Schule. «Elsass» von
Moreau-Nelaton ist das Gegenstück des Flugblattes von
Mannsfeld aus dem Verlage von Breitkopf und Härtel;
mag es sich nun um kleine Franzosen oder kleine Deutsche
handeln, die Tendenz, den Kindern schon so frühzeitig die
Freude an einem der größten Frevel gegen die Humanität,
am Kriege, einzuimpfen, ist und bleibt verwerflich und
beklagenswerth.
Und nun meine Schlussfolgerung aus dem Gesagten:
Wenn ich meine Kindheit wieder beginnen könnte, so
würde ich es — nach den Schulwandbildern dieser beiden
Völker zu urtheilen — tausendmal vorziehen, ein kleiner
Engländer als ein kleiner Franzose zu sein.
(Aus dem Französischen übersetzt)
William Ritter.
Die Herde. Aus den Images Murales. Von Moiireau-Xetatoii
noch Selwyn Image anführen, dessen «Verkündigung
Mariens • und «Bergpredigt» sehr gute dekorative Eigen-
schaften besitzen, sie lassen diese Tafeln — die erstere
besonders — zu einem wunderbaren Kirchenfenster
geeignet erscheinen.
Auf Anregung des Kunstkritikers Roger Marx
hat der Buchhändler Larousse für die französischen
Volksschulen ein gleichartiges Unternehmen versucht,
aber rein materialistisch, d. h. dem Geiste der unent-
geltlichen obligatorischen Elementarschule gemäss, der
unter dem Vorwand des Anticlericalismus kurz und
bündig Gott und das Evangelium aus der Schule verjagt
hat. Deshalb gibt es hier keine idealisierten Scenen,
keine dekorativen Entwürfe, die an die Kirche, die
christlichen Feierlichkeiten und an das Paradies erinnern
und zu hoffen lehren, man sieht keine schönen Farben
wie in der alten Malerei, im Gegentheil vollkommen
realistische Bilder; sie sind beinahe den ödesten Gegen-
den Frankreichs entnommen, auf die alltäglichste Art
dargestellt, bar jeder Poesie, auch in den kleinsten Details
ohne Empfindung und liebevolles Verständnis für kind-
liches Wesen. Die Tendenz springt sofort ins Auge: man
will nicht Seelen, sondern Menschen bilden.
Die erste Serie ist ziemlich schlecht «Die Früchte
der Erde» benannt. Denn die Titel unter den Bildern
beziehen sich nicht nur aut das Getreide, sondern auch
auf den Wald, die Heerde und den Wein, Dinge, die man
kaum ohne allzu grosse Gefälligkeit als •■ Früchte» der Erde
betrachten kann. Die Franzosen werden uns vielleicht
beschuldigen, hierin eine deutsche Haarspalterei zu leisten.
Aber wenn man einmal die Genauigkeit der französischen
Sprache so sehr rühmt, muss die Schule der letzte Ort
sein, wo man derartige Genauigkeit lehrt: denn ich gestehe,
dass ich nicht nur nicht begreife, wie man die Herde eine
«Frucht» der Erde nennen kann, sondern auch wie man
als «Herde» zwei magere kleine Kühe bezeichnen kann,
die sich im Hintergrunde einer weiten Landschaft verlieren,
während im Vordergrunde ein kleiner Knabe und ein
kleines Mädchen ein grosses Feuer anzünden, um sich
gegen die herbstlichen Nebel zu wärmen. Nicht das
geringste Blümchen auf dem Boden! Moreau-Nelaton,
der Schöpfer dieser ganzen Serie, deren starke, kräftige
Eigenschaften nur ein Mann verstehen kann, scheint
sich an Millet begeistert und vor allem beabsichtigt zu
haben, die Kinder für das Verständnis der naturalistischen
Malerschule und an der Farblosigkeit des Pleinairismus
heranzubilden. Seine Compositionen werden daher auch
sehr selten verlangt und ist es ein Zufall, wenn man sie
irgendwo vorfindet, sie sind fast einfarbig, sie haben die
Farbe des Erdbodens bei der Annäherung des Winters
und sind von herzzerreissender Traurigkeit, sie scheinen
laut zu verkünden, dass das Leben sehr hart ist, die
Arbeit sehr mühsam undjedes Reizes baar. Die Kinder, die
in dieser Schule unterrichtet werden, werden wenigstens
keine Illusionen vom Leben haben, werden sie deshalb
besser sein?
L.H1VER
Der Winter. Aus den Images Murales. Von Henri Rivüre.
Dagegen müssen wir auf eine sehr schöne Arbeit
Henri Rivieres aufmerksam machen, «Der Winter», der
allgemeinen Beifall findet. Das »Rothkäppchen« von
Willette aber ermangelt jeder Natürlichkeit und die
Schüler, an welche es sich wendet, besuchen wohl mehr
schon die chambres separees als die Schule. «Elsass» von
Moreau-Nelaton ist das Gegenstück des Flugblattes von
Mannsfeld aus dem Verlage von Breitkopf und Härtel;
mag es sich nun um kleine Franzosen oder kleine Deutsche
handeln, die Tendenz, den Kindern schon so frühzeitig die
Freude an einem der größten Frevel gegen die Humanität,
am Kriege, einzuimpfen, ist und bleibt verwerflich und
beklagenswerth.
Und nun meine Schlussfolgerung aus dem Gesagten:
Wenn ich meine Kindheit wieder beginnen könnte, so
würde ich es — nach den Schulwandbildern dieser beiden
Völker zu urtheilen — tausendmal vorziehen, ein kleiner
Engländer als ein kleiner Franzose zu sein.
(Aus dem Französischen übersetzt)
William Ritter.
Die Herde. Aus den Images Murales. Von Moiireau-Xetatoii