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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.4072#0039
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leicht, mit spielender Nadel hingeworfen, dennoch aber
im Detail mühsam durchgeführt. Die andere, neuere
Radirung desselben Meisters hat Constables »Salisbury
Cathedra!« zum Sujet. Es gilt dies als eines der besten
Werke Constables, der als der Vater der modernen
Stimmungslandschaft angesehen wird. Das genannte Bild
wurde 1826 als ein Hochzeitsgeschenk für die Familie
des Erzdekans Fischer gemalt. Der Radirer hat mit viel
Gewandtheit das schöne Architekturstück wiedergegeben.
Die Lichtfluth, die über die Kathedrale ausgegossen ist,
wurde glücklich zu dem mit dunklen Bäumen besetzten
Vordergrunde abgestimmt. Die Radirung ist eine vor-
zügliche Übersetzung eines grossen Bildes.

Der berühmteste Greuze in England, Mr. Alfred
Rothschilds »Le Bayser envoye«, wurde von Mr. Scott
B r i d g w a t e r für Colnaghi & Co. in ausgezeichneter Version
wiedergegeben. Mr. Matheys Radirung nach dem wohl-
bekannten Petersburger van Dyck, das Porträt Lord
Whartons darstellend, zeigt alle die Vorzüge des Originals:
ausserordentliche Eleganz in der decorativen Behandlung,
und ausgesprochene innere Vornehmheit. Der Verleger
der Radirung ist Dowdeswell. Frost & Reed in Bristol
haben eine vorzügliche Radirung Gaujeans nach Sadlers
Gemälde »Theeklatsch« publicirt. Es ist dem Radirer
sogar gelungen, den leisen Anklang von Vulgarität, den
Sadlers komische Bilder bisweilen an sich tragen, in der
Übersetzung aufzuheben. Die Radirung von Camille
Fonce, nachdemGemälde Leaders »DerAbend«,gereicht
der Verlagsfirma Mendoza zur besonderen Ehre.

In der Kunsthandlung vonObach wurden vorKurzem
die Radirungen Klingersausgestellt, indessen seit einigen
Wochen sind dieselben nach der Londoner internationalen
Ausstellung übersiedelt, woselbst sie den Hauptan-
ziehungspunkt bilden. Bei dieser Gelegenheit will ich
bemerken, dass die Arbeiten Klingers dem englischen
Publicum bis jetzt so gut wie unbekannt geblieben waren,
nun aber, nachdem sich durch eigene Anschauung ein
Urtheil in London herausgebildet hat, ist der Enthusiasmus
ein bedeutender geworden. Dafür uns Klingers Radirungen
alte Freunde sind, so bedarf jenes Lob keiner weiteren
Detaillirung. Jedenfalls aber hat der Meister wesentlich
dazu beigetragen, die bisher für die Einführung der
deutschen Kunst so schwierigen Verhältnisse zu ebnen.
Alle diejenigen auswärtigen Künstler, welche, freiwillig
•oder gezwungen, in irgend welchen Beziehungen zu
England stehen, werden daher Klinger zu besonderem
Danke dafür verpflichtet bleiben, dass er der deutschen
und namentlich der graphischen Kunst, zu so hohem
Ansehen in London verhalf.

Hier in dem Salon von Obach sind ferner holländische
Meister gern gesehene Gäste. Arendsen hat für die
Firma eines der besten Bilder von Franz Hals, betitelt
Der Cavalier«, in meisterhafter Radirung wiedergegeben.
Das Original gehört zu den Perlen der »Wallace-
Sammlung«, deren Werth auf etwa 40 Millionen Gulden
amtlich abgeschätzt wurde, und die durch Vermächtnis

vor Jahresfrist an den Staat überging. Eine Art von
Pendant zu diesem Blatt bildet die Radirung Ickes,
welcher schon vor längerer Zeit für denselben Verleger
»Willem van Heithuysen«, ein in der Brüsseler Galerie
befindliches Meisterstück von Franz Hals, radirte. Das
grosse Staatsporträt der genannten Persönlichkeit aus
der Liechtenstein-Galerie in Wien, radirte bekanntlich vor
mehreren Jahren Unger mit grossem Erfolg. Ein anderer
Holländer, Professor Dake, hat Rembrandts »Sindici« in
kleinerem Masse als Koeppings schönes Blatt, aber
gleichfalls sorgsam und kraftvoll durch Radirung über-
tragen. Ebenso hat jener Künstler eine gute und gangbare
Radirung nach J. Israels Bild »Die Rückkehr der Boote
erwartend« geliefert. Die beiden letzten Blätter erscheinen
bei H. C. Dickins in Regent-Street.

Eine der beliebtesten Radirungen der Saison bleibt
endlich die Arbeit von Mr. R. W. Macbeth nach dem
populären Bilde von Davis »Im Sommer«. Mr. Macbeth ist
ein Radirer von so wohl begründetem und allgemein
anerkanntem Rufe, dass es nur der Bemerkung bedarf:
auch diese Radirung hält sich auf der Höhe seiner Meister-
schaft. Ausser diesem Werk gab die »Art-Union« das
sogenannte Jahresbild der vorigen Ausstellungen »The
Duke of Gloucester« nach Abbeys Aufsehen erregendem
Gemälde heraus. Der Radirer ist Leopold Flameng.

Die Ausstellungen in London sind so zahlreich, dass
selbst diejenigen in den grossen Instituten nur flüchtig
gestreift werden können. Von der internationalen Aus-
stellung war bereits die Rede. Die Besprechung der
graphischen Kunst in der »Royal-Academy« soll späterer
Zeit an dieser Stelle vorbehalten bleiben. In der »New-
Gallery« fand eine Ausstellung von Kupferstichen,
Radirungen, Photogravüren und Photographien statt, in
welcher die gesammte Kunst der alten klassischen und
der modernen englischen Meister vertreten war, soweit es
sich um ihre Originalgemälde handelt. Die Radirer gehörten
natürlich den verschiedensten Nationalitäten an.

Die sechzehnte Jahresausstellung der »Painter-
Etchers« wurde in den Räumen der Aquarellgesellschaft
in Pall-mall-east eröffnet. Einige Blätter des Präsidenten
Sir F. Seymour Haden bestätigen das Talent und den
wohlverdienten Ruf dieses Meisters. Die Repräsentanten
der beiden hier scharf geschiedenen Radirschulen sind
auch diesmal typisch vertreten. Die Vertreter der einen
sind: William Strang ebenso wie sein früherer Lehrer
Legi" os, alsdann Charles Holroy d und Bry den, die gute
Arbeiten geliefert haben. Ihre Methode besteht mehr oder
minder in dem Bestreben, sich im Sinne der Linienmanier
auszudrücken und im Geiste Dürers zu schaffen. Die
besten Blätter Strangs in dieser Richtung sind folgende:
»Das Porträt von Mr. Rudyard Kipling«, »Die Anbetung
der h. drei Könige- und eine kleine schottische Land-
schaft. Die entgegengesetzte Schule erkennt ihr Haupt in
Mr. Helleu an, der im reinsten Sinne des Wortes ein seif
made man ist, ohne Lehrer und niemandes Nachfolger.
Er arbeitet mit leichter Nadel und fliegt über die Platte,
 
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