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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.4073#0021
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zerbrochen und sitzt in sich zusammengesunken auf dem niedrigen
Hügel, den Kopf vom Schmerz gebeugt und in das öde Erdreich starrend.
Hinter ihm unter Bäumen und am ansteigenden Hügel die weidende
Heerde. Das Symbol Colins »Ancora speme« (Hoffnung ist mein Anker)
zeigt einen Genius mit weitausgebreitetem Flügclpaar, auf einen Anker
gestützt, von dem sich das Schriftband mit der Devise zieht.

Das Februarbild lehnt sich an die Klage des alten Schäfers an,
dem Alles vergänglich ist, die er an den jungen Freund richtet. Die
Fabel von der Eiche und der Heckenrose, welche in den Text verflochten
ist, erblicken wir auf dem Bilde verwertet. Der Alte sitzt unter dem Eich-
baum, zu dessen Seiten der kahle Heckendorn sich schlingt. Ein Wind-
Stoss heult durch die Natur und lässt den Jungen zusammenschauern.

DeC€ttB£R.
7\£GLOCA x
DUODeClrtA

Das Symbol des grämlichen Alten: »Iddio perche e vecchio fa suoi al suo
essempio* (Gott macht den er liebt, alt wie er selbst ist) zeigt Gott-
vater auf der Weltkugel sitzend, vor sich das Schriftband. Seine beiden
Hände halten Sonne und Mond. Hoffnungsfroh und frühlingssicher
klingt das Wort des Jungen »Niuno vecchio spaventa Iddio« (Kein Alter
fürchtet Gott). Und es wird auch Frühling. Das Märzbild zeigt uns das
Waldesinnere, der Epheu rankt, es zeigen sich die ersten Schlüssel-
blumen und der Schäfer zielt mit dem Bogen auf ein schnäbelndes
Taubenpaar im grünenden Baumlaub. Aber am Baume lehnt ein
stärkerer Schütze, der junge Amor und sein Pfeil ist auf den Schäfer
gerichtet. Die Aprilekloge ist dem Preis der jungfräulichen Königin
Elisabeth gewidmet, die königlich geschmückt mit Krone, Scepter und

Apfel in den Blüten ruht, während tanzende Elfen den Blumenreigen
um sie schwingen.

Das Maibild zeigt im Vordergrunde zwei ernste Schäfer, die über
die Vorzüge der katholischen und protestantischen Kirche streiten,
während im Hintergrunde unbekümmert um den Dogmatismus Jünglinge
und Mädchen zum Klange des Tamburins und der Pfeife tanzen und
jubeln.

Im Juni tritt der junge Colin wieder auf, noch ist das Herz
der Geliebten nicht gerührt, wo Alles so herrlich blüht und duftet. Er
schreitet einsam am Waldesrande, seinen Schmerz den Tönen ein-
hauchend. Und im Vordergrund am Wasser sitzen und stehen edle
hehre Jungfrauen, die leise die Saiten erklingen lassen und wchmüthig
dem Klagenden nachsehen. Er ruft aus: >Giä speme spenta<
(Jetzt ist all meine Hoffnung dahin). Das Emblem zeigt
den Jüngling, wie er sich verzweifelt über den zerbrochenen
Anker wirft.

Im Julibild erblickt man Hirten im Zwiegespräch am
Bergabhange; auch hier ein dogmatisches Gespräch zu Gunsten
des Puritanismus. Die Augustsonne hat den jungen Schäfer unter
den Schatten der Bäume gelockt, da geht leichten tänzelnden
Schrittes das Glück an ihm vorbei, eine junge Blumenmaid, die
ihn mit dem Straussc grüsst.

Vor dem Gehöfte unter dem Septembcrhimmel treffen sich zwei
Schäfer. Der eine derselben, ein Weitgereister, schildert das weltliche
Treiben der hohen High church-Geistlichkeit; also ein ähnliches Motiv,
wie es auch der deutsche Humanismus kannte und wie es Spensers
Freund in seiner bereits erwähnten Satire Colin Clout gethan hat, wenn
er das herrliche mit dem höchsten KunstraffinementausgestatteteSchlu^s
des Lordmayors Wolsey schildert. Die Devise zeigt Narciss an der
Quelle, den Annen im Heichthum (»lnopem me copia fecit«).

An einem schönen Octobcrabend haben sich zwei Schäfer unter
den Bäumen des Hains gelagert. Der eine besingt die hohe Dichtkunst,
der kein Gönner lächelt. Da geht sie plötzlich vorüber, die hehre Frau,
ein ideal schöner Engel mit der Kithara, das Haupt wchmüthig gesenkt.
Der Wind saust durch die nachtdunklen ächzenden Bäume, das
Todtenfest lässt den Gedanken an die Vergänglichkeit erstehen. Und auf
der Bahre liegt ein reizendes junges Mädchen Dido ; die Schwestern und
Freundinnen klagen und bringen ihr die letzten grüssenden Blüten. Aber
>la mort ny mord« tönt es leise aus den reifen Tulpen und Ähren, die
der Devise beigegeben sind. Es muss wieder Frühling werden und die
Liebe hört nimmer auf. Sie wandelt über Gräber und weckt zur
Unsterblichkeit.

Gross ist das letzte Blatt. Colin tritt weg von der Heerde, die
Augen, in denen der Schmerz leuchtet, schauen hoffnungslos in den
Untergang des Lebens. Er klagt, dass die Früchte reif geworden
sind, nachdem sie aus der Blüte entstanden und dass auch sie
jetzt fallen. Er hängt die Weidenpfeife am Baume auf, ein
Hoffnungsloser, der nun den Winter vor sich sieht. Doch da-
hinter steht der grosse Pan, der Erwecker; er lenkt die Heerde
der Heimat zu und gross, feierlich versinkt im Horizont die Sonne.
Der Kreislauf ist vollendet, Freuden und Leiden des Menschen
beginnen von neuem, wieder wird es Frühling und Colin hofft auf
Liebe, wieder geht das Glück an ihm vorbei und wieder fallen
die Blätter. Doch »vivitur ingenio, caetera mortis erunt« (Die
Werke des Geistes sind unsterblich, das Übrige verschlingt der
Tod), ruft die Devise. Über dem Todtenschädel ranken sich Lorberreiser
um die gekreuzte Flöte und die Schreibfeder, ein leichtbeschwingter
Schmetterlingsgcnius hält die Kugel, das Symbol des All, hoch in den
Händen.

Wie ist das Alles tief vom Zeichner empfunden und poetisch
verklärt! Crane ist ein grosser Künstler, dessen Werke congenial sind
den Blättern Dürers und der Griffelkunst Klingers.

Jänner 1899.

Edmund Wil h. Braun (Troppau).
 
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