Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1901

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4247#0039
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
34 -

Hals, nicht eine Windung des Leibes). Was ist wahr-
scheinlicher, als dass die nämliche Stellung beibehalten
wird, wenn der Übergang zur zweiten Gestalt beginnt
und eine Ergänzungswindung, die zweite, am Leibe
angebracht ist? Thatsächlich finden sich die Flügel aus der
Verkündigung (B. 2, Sch. 5, L. 41), welche Flechsig mit
grosser Wahrscheinlichkeit um 1511 —1512 ansetzt, noch
an derselben Stelle, »auf dem ersten aufsteigenden Theile
des Rumpfes«. Hier ist zwar dem Leibe eine dritte
Windung gegeben worden, aber die Flügel befinden sich
noch auf der ersten, nicht wie in allen späteren Fällen
auf der zweiten Windung; gleichwohl gleiten sie etwas
nach rückwärts und sitzen »auf der hinteren Hälste der
Windung, da, wo diese schon beginnt, sich nach abwärts
zu bewegen«. Auch in anderer Hinsicht, wie zum Bei-
spiel in dem glatten Contur des Leibes, steht die Schlange
auf der Verkündigung jener auf dem Turnierritter näher
als eine andere, und der letztere kann, soweit die Gestalt
der Schlange einen Anhaltspunkt gibt, im Gange von
Cranachs Entwickelung wohl etwas früher stehen, sagen
wir um 1510.
Nun wollen wir die Stilfrage ins Auge sassen. Der
Holzschnitt hat einen unverkennbaren und unleugbaren
Fehler. Die Figur ist für den Raum, für welchen sie
bestimmt ist, in zu grossem Massstab gehalten und
erscheint gedrückt, und zwar so sehr, dass Kopf und Hals
des Pferdes im Verhältnis zu seinem Leibe zu klein sind,
und der Ritter selbst auf seinem Streitross zu weit vorne
zu sitzen kommt. Aber Cranach ist kein unfehlbarer
Zeichner, und ich sehe sonst nichts auf dem Holzschnitt,
was einen Zweifel hervorrufen könnte, ausgenommen die
Leere des Hintergrundes, die gewiss ungewöhnlich ist.
Cranach unterliess es selten, seine Figuren in eine
angemessene landschaftliche oder architektonische
Umgebung zu stellen. Doch können, was die einsache
Behandlung des Hintergrundes anbelangt, bis zu einem
gewissen Grade L. 25 und 28 (B. 122, 125) verglichen
werden. Die Wolken, ganz flach gezeichnet, mit runden
Conturen, auf blauem Himmel, der durch parallele
Striche angedeutet ist, als Hintergrund, erinnern am
stärksten an jene auf den Strichplatten der beiden
Holzschnitte, »Der heilige Christoph« (L. 6, B. 55) und
»Venus und Amor« (L. 8, B. 113). Die Thatsache, dass
Cranach zuerst im Jahre 15091 Wolken in seinen Holz-
schnitten anbrachte, spricht für das Datum, das ich bereits
vorgeschlagen habe, obgleich sie nicht entscheidend ist;
denn nach einer Zwischenzeit, in welcher eine verschiedene
Manier, Wolken zu zeichnen, überwog, begegnet derselbe
Wolkentypus auf »Luther als Junker Jörg« von 1522. Die
Gesichtszüge des Ritters haben, soweit sie sichtbar sind,
nichts Befremdliches, und die Federn aus seinem Helme
und auf dem Kopfe seines Pferdes sind ganz in Cranachs
Art gezeichnet. Das Muster von conturirten Stiesmütterchen
und Blättern auf der Turnierdecke des Rosses kann mit

i Vgl. Flechsig a. a. O. S. 28.

dem Ornament aus dem Nimbus und den sich über dem
Brustharnisch kreuzenden Riemen des grossen stehenden
St. Georg (L. 5, B. 67) verglichen werden. Ganz die
nämlichen Stiesmütterchen kommen aus dem Sattelschmuck
eines Pferdes aus dem ersten Turnier von 1506 (L. 10,
B. 124) vor. Das conturirte G findet sich aus dem Sattel-
schmuck des Rosses eines Ritters, welcher aus jedem der
drei Turniere von 1509 an hervorragender Stelle erscheint.
Auf den ersten beiden von diesen ist das G aus eine etwas
verschiedene Weise gezeichnet, nämlich ohne den Quer-
strich im unteren Theile (G, nicht G), aber aus dem dritten
sind beide Formen aus einem und demselben Sattel-
schmuck gemischt, so dass der Unterschied ossenbar nicht
wesentlich ist. Das Herz, in welches der Buchstabe aus
B. 123 eingeschlossen ist, findet sich aus den drei anderen
Holzschnitten nicht, aber es ist noch immer möglich, dass
der Ritter die nämliche Person ist. Sein Name ist leider
in Sibutus' Gedicht, welches die am 15. und 16. No-
vember 1508 zu Wittenberg abgehaltenen Turniere
beschreibt, nicht genannt1. Schliesslich sei noch ein
äusserer Grund erwähnt, der sich am Holzschnitt selbst
findet und dessen Autorschast dem älteren Cranach zu-
weist: es sind dies die den srühen Abdrucken beigesügten
zwöls deutschen Verse, mit C. M. O. unterzeichnet. Ich
habe in der Cranach-Literatur vergeblich nach einer
Erklärung der Initialen gesucht. Des Dichters Name dürfte
wahrscheinlich in den Registern der Universität Witten-
berg zu finden sein. Es ist aus jeden Fall klar, dass er
Beziehungen zu Cranach hatte, denn seine Verse sind
sonst noch wenigstens sechs von des Meisters Holz-
schnitten beigesügt, Sch. 14, 87, 90, 117, 121, 127.
Ich habe mich umsonst bemüht, irgendwelche
Analogie zu finden zwischen diesem Turnierritter und
der Gruppe von Titelblättern und anderen Holzschnitten
aus den Jahren 1518 bis 1523, welche Dr. Flechsig,
gestützt aus eine Reihe von sehr interessanten und
theilweise überzeugenden Beweisen, einem einzigen
bestimmten Schüler Cranachs zuschreibt'-. Ob dieser
Schüler Hans Cranach ist, will ich an dieser Stelle nicht
zu erörtern versuchen. Dr. Flechsig verspricht eine
eingehendere Darlegung der Gründe sür seine Ansicht im
zweiten Theile der »Cranach-Studien«, und ich erwarte
die Ersüllung dieses Versprechens mit dem grössten
Interesse. Ich wünsche jedoch, die Sache jetzt schon
einen Schritt weiter zu sördern und einen, wie ich glaube,
entscheidenden Beweis gegen die Zuweisung des Holz-
schnittes »Der Adel« an den »Pseudo-Grünewald« bei-
zubringen, dessen srühestes Werk Dr. Flechsig in das
Jahr 1516 ansetzte

1 G. Bauch, Repertorium sür Kunstwissenschast, XVII, 432.
2 A. a. O., SS. 179—222.
s Das Gemälde »Das .Martyrium des heiligen Erasmus« zu
Aschassenburg (S. 126). Der srüheste ihm gegenwärtig von Dr. Flechsig
zugeschriebene Holzschnitt ist das Titelblatt der »Deutschen Theologie«,
1518 (SS. 54, 250). Dr. Flechsig möchte die Geburt des Künstlers um
1500—1501 ansetzen (SS. 136, 175).
 
Annotationen