Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1902

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4250#0009
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Hiroshige. Strassenscene. Nach dem Farbenholzschnitt.

Biwa-Sees« ist weder ein Zug von der Kraft und Kühnheit Hokusais zu sehen, dessen Einfluss auf Hiroshiges spätere
Werke so merkbar ist, noch gewahrt man etwas von der geschickten Figurenzeichnung, die in der Werkstatt Toyo-
hiros zu lernen war. Die »Ansichten des Biwa-Sees« müssen daher unter des Künstlers frühere Werke gerechnet und
als ein Versuch in einer Richtung angesehen werden, von welcher ihn späterhin reifere Erfahrung beträchtlich ablenkte.
Ich habe schon von den Holzschnitten gesprochen, welche die »Geschichte der siebenundvierzig Ronin«
illustriren. Ihnen folgen die hübschen Serien oblonger Compositionen, an welchen Hiroshiges Ruf hauptsächlich
haftet: die »Sechsunddreissig Ansichten des Kiso-Kaido«, die »Ansichten des To-Kaido« und die »Ansichten von
Yedo«. (Vgl. die Abbildungen auf Seite 3 und 7 und die Tafel.) Es gibt ferner eine grosse Menge kleiner Bücher von
gleichem Stile und mit Hiroshiges Namen versehen, deren Echtheit anzuzweifeln kein Grund vorhanden ist. Hiroshige
scheint niemals ein reicher Mann gewesen zu sein, und wenn er fand, dass aus seinen Skizzen ein kleines Buch gemacht
und verkauft werden konnte, so war er nicht geneigt, die günstige Gelegenheit ungenützt vorübergehen zu lassen.
Folgte Hiroshige der Mode, der geschäftlichen Nachfrage oder künstlerischer Laune, er kam, nachdem er sich
durch viele Jahre auf die oblonge Form der Composition beschränkt hatte, plötzlich von ihr ab und wählte für seine
Zeichnungen das überhöhte Format, dem er beinahe ohne Unterbrechung bis zu seinem Tode treu blieb. Die
Veränderungen, die sich aus diesem Wechsel ergeben, sind so beachtenswert, dass einige massgebende Kenner seiner
Werke diese aufrechten Holzschnitte einem zweiten Künstler desselben Namens zugewiesen haben. Der Unterschied
besteht in einer schwachen Abweichung in der Gestalt der Signatur (an sich wohl nicht genügend, um daraus auf
einen Nachahmer schliessen zu können), in wichtigeren Veränderungen der Farbe und in einer beschränkteren
Anwendung der menschlichen Figur. (Vgl. die Abbildung auf Seite 8.) Die Unterschiede, welche in der Zeichen-
weise zu bemerken sind, beruhen zum grössten Theile auf der veränderten Form der Composition, wenn es auch
nicht zu leugnen ist, dass die Anwendung conventioneller Wolkenstreifen häufiger wird und das Empfinden für die
Natur weniger echt ist. Diese Mängel treten in den letzten Werken, die mit Hiroshiges Namen unterzeichnet sind,
in einem Grade hervor, der die Annahme vollkommen rechtfertigt, dass sich entweder Hiroshige am Ende seines
Lebens beinahe vollständig auf den Beistand eines Schülers verliess, oder dass diese schwächeren Arbeiten von
einem ganz verschiedenen und mindervverthigen Künstler herrühren, der Hiroshiges Signatur besser als dessen
künstlerischem Talent zu folgen vermochte.
 
Annotationen