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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.4238#0056
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— 52 —

Die letzte der uns vorliegenden, vom Kunstwart herausgegebenen
Mappen ist Dürer gewidmet. So erfreulich sie an sich ist, so erreicht
sie doch die beiden eben besprochenen nicht. Dies kann nicht wunder-
mehmen, wenn man bedenkt, um wieviel schwerer es war, eine Auswahl
aus Dürers Werken zu treffen als aus denen Schwinds und Richters,
und wie schwierig sich die Reproduktion von Werken eines alten
Meisters gestaltet. Die Holzschnitte und Radierungen sind mittels Strich-
ätzungen wiedergegeben, leider nicht allzu klar und scharf. Bei den
nicht in den Text gedruckten großen Reproduktionen stört überdies die
unglückliche Farbe des Papiers. Für die Wiedergabe der Kupferstiche
wurde der Lichtdruck gewählt. Er ist verhältnismäßig ganz gut, nur
wirkt überall das untergedruckte grelle Gelb aufs widerwärtigste. Am
besten sind noch die Autotypien mit Tongrund, welche zur Reproduktion
der Gemälde und Zeichnungen verwendet wurden. Eine von den
letzteren, das Christkind von 1493, ist sogar farbig wiedergegeben —
nicht sehr glücklich. Ich für meinen Teil hätte für die Reproduktion mehr
Holzschnitte ausgewählt, die ja weitaus am getreuesten und auch am
billigsten wiederzugeben sind. Will man weiteren Kreisen die Kenntnis
der Werke eines alten Meisters vermitteln, so muß man es in möglichst
einwandfreier Weise tun. Schlechte und mittelmäßige Wiedergaben sind
ja massenhaft vorhanden, die Originale aber — für das große Publikum
wenigstens — schwer zugänglich. Auch der Text, der Wissenswertes
über einen großen Künstler der Vergangenheit mitteilen will, kann nicht
sorgfältig genug gearbeitet sein. Wie nun der Verfasser in den Geist der
einzelnen Werke einzudringen und auf ihre für ein im Betrachten alter
Kunstwerke ungeübtes Auge nicht immer leicht erkennbaren Schönheiten
aufmerksam zu machen weiß, ist ja ganz prächtig, umso peinlicher
berührt es aber, auf einzelne sachliche Unrichtigkeiten zu stoßen. Dürer
kam auf seiner Wanderschaft nicht »vielleicht« nach Venedig — der
erste venezianische Aufenthalt ist ja nunmehr bereits schlagend be-
wiesen. Er kehrte auch nicht noch 1506 von seiner zweiten veneziani-
schen Reise nach Nürnberg heim, sondern erst 1507. Die Radierung ward
nicht von ihm erfunden; man kennt nämlich ein in Eisen geätztes Blatt
von Urse Graf, das bereits drei Jahre vor Dürers beiden ersten
Radierungen entstanden ist. Am unangenehmsten aber fällt auf, daß im
Text ein Blatt als Zeichnung für das Gebetbuch Maximilians wieder-
gegeben ist, das weder mit Dürer noch mit dem Gebetbuch des Kaisers
Max irgend etwas zu tun hat. Für die falsche Zuweisung kann der
Herausgeber der Mappe allerdings nicht verantwortlich gemacht
werden (das Blatt, das sich im großherzoglichen Museum zu Weimar
befindet, kommt nämlich auch bei Lippmann unter Nr. 157 als Dürer vor),
wohl aber dafür, daß er die Zeichnung mit dem Gebetbuch des Kaisers
in Zusammenhang bringt. Dies ist, mag es nun auf Unkenntnis oder Nach-
lässigkeit beruhen, nicht zu entschuldigen. Die eine oder andere der
Randzeichnungen zu Maximilians Gebetbuch hätte freilich gebracht
werden sollen, zeigen doch gerade sie Dürer von einer seiner sym-
pathischesten und leichtest verständlichen Seiten. — Die Mappe kostet
3 Mark. A. W.

H. Knackfußsche Künstlermonographien (Verlag
von Velhagen & Klasing, Bielefeld und Leipzig). LV. Bd.,
Otto von Schleinitz, Burne Jones (mit 113 Ab-
bildungen nach Gemälden und Zeichnungen, LXII. Bd.,
Derselbe, Walter Crane (mit 145 Abbildungen nach
Gemälden und Zeichnungen).

In diesen zwei in letzter Zeit erschienenen Bänden der Knack-
fußschen Künstlermonographien hat der in England lebende deutsche
Kunstschriftsteller Otto von Schleinitz zwei Meister behandelt, deren
tiefgehender Einfluß auf die neuere englische Kunst und den englischen
Geschmak ja allgemein bekannt ist. In ersterem ist das Wirken von
E. Burne-Jones, dem Hauptvertreter der präraphaelitischen Richtung,
geschildert, welcher im Gegensatze zu den übrigen Anhängern dieser
Richtung sich zu einer Selbständigkeit emporgehoben hatte, der man
auch auf dem Kontinente infolge der geistigen Vertiefung, der vor-
nehmen, ganz im Seelenleben wurzelnden Kunst, die allen seinen
Werken innewohnt, stets mit größter Bewunderung und Achtung gefolgt

ist. In fesselnder Weise wird uns vom Autor die Erklärung der einzelnen
Bilder geboten, deren Themata zumeist wenig bekannten altenglischen
Balladen, Legenden etc. entnommen sind. Von ganz besonderem Inter-
esse sind aber die zahlreichen Exkurse in das Gebiet der sozialen
Reformbewegungen, denen Burne-Jones einen großen Teil seiner
künstlerischenTätigkeit opferte, in weit größerem Maße aber der zweite
von Schleinitz behandelte Künstler, nämlich Walter Crane, welcher
in der Veredelung des Lebens die Hauptaufgabe der Kunst sieht und der
schließlich mit Hilfe der Kunst einen idealen Zukunftsstaat errichten
will. In letzterem Bande schildert Schleinitz im Gegensatze zu allen bis-
herigen Biographien Cranes und der jüngst erschienenen großen Mono-
graphie von P. G. Konody (The art of Walter Crane, London, G. Bell
et sons, 1902) das so vielseitige Wirken des Künstlers in chronologischer
Reihenfolge, wodurch die Übersichtlichkeit leider ein wenig getrübt
wurde; diesem Übelstande wäre abzuhelfen gewesen, wenn sich
der Autor entschlossen hätte, ein kurzes, nach Stoffen geordnetes
Inventar (nebst einem Überblick über die gesamte bisher über Walter
Crane erschienene Literatur) als Anhang zu bringen. E.

J. Mc Neill Whistlers Zehnuhr-Vorlesung (Ten
o' clock). Deutsch von Th. Knorr. Straßburg 1904. J. H.
Ed. Heitz. 8°.

Es ist eine beliebte Taktik, sich vor dem Verdachte, man fühle
sich von einem literarischen Ausfall getroffen, durch das Lob der Arbeit
zu schützen, in der dieser Ausfall erfolgt ist. Da nun in Whistlers geist-
sprühendem Vortrag alle, die sich, ohne Künstler zu sein, mit der Kunst
beschäftigen, recht übel wegkommen, so hat ein Lob, das von kunst-
geschichtlicher Seite der Broschüre gespendet wird, von vorneherein
zweifelhaften Wert. Gleichwohl wage ich es, mein Entzücken über
Whistlers Plauderei, die ich erst in der mir vorliegenden Ausgabe kennen
gelernt habe, unverhohlen zu äußern. In dem Büchlein sind nämlich
nicht nur die Stellen, wo die »Kunstverständigen« aufs witzigste
karikiert werden, reizend, sondern es ist vom Anfang bis zum Ende
amüsant und anregend. Alles verrät einen so originellen und sublimen
Geist, einen so exklusiven und raffinierten Geschmack, ist so
temperamentvoll und elegant vorgebracht, ist auch stilistisch von einer
so pikant-affektierten Grazie, jede Ansicht, ja jede Wendung ist für den
Menschen und für den Künstler so charakteristisch, daß man bei der
Lektüre Whistler förmlich zu sehen und zu hören vermeint und manche
Stelle wie ein köstliches Blatt von seiner Hand wirkt. Ich setze
etliche Zeilen, die mir gerade in dieser Hinsicht besonders gefallen,
hieher:

»Die Sonne glüht, der Wind bläst von Osten, der Himmel ruht
wolkenlos, und draußen ist alles wie von Eisen. Von allen Punkten
Londons trifft das Auge auf die blitzenden Fenster des Kristallpalastes.
Wer freie Stunden hat, freut sich des herrlichen Tages, der Maler aber
wendet sich ah und schließt die Augen.

Wie wenig Verständnis dafür vorhanden ist und wie sehr nach
altem Herkommen das Zufällige in der Natur für erhaben gilt, läßt sich
aus der unbegrenzten Bewunderung schließen, wie sie alle Tage ein
höchst alberner Sonnenuntergang wachzurufen pflegt.

Die Würde des schneegekrönten Berges geht durch scharfe
Deutlichkeit verloren, aber die Freude des Touristen ist es, den
Reisenden auf der Spitze erkennen zu können. Der Wunsch, zu sehen
um des Sehens willen, ist bei der Menge das einzige, was sie befriedigen
will, daher ihre Freude am Detail.

Wenn der Abendnebel die Ufer mit Poesie umwebt, wie mit einem
Schleier, und die kleinen Häuschen sich im dunkeln Himmel verlieren,
wenn die hohen Schornsteine wie Glockentürme und die Warenspeicher
wie Paläste in die Nacht ragen, die ganze Stadt im Himmel hängt und
ein Märchenland sich vor uns auftut — dann eilt, wer noch draußen ist,
heim; der Arbeiter wie der Gebildete, der Ernste wie der Vergnügungs-
süchtige hört auf zu verstehen, wie sie aufgehört haben zu sehen. Und
die Natur, die nun in Harmonien klingt, singt ihr herrliches Lied für den
Künstler allein, ihren Sohn und Meister; ihren Sohn, weil er sie liebt,
ihren Meister, weil er sie kennt.« —
 
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