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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.4249#0078
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— 74 —
XVI. Jahrhundert auf den Bildern Giambellins und seines Kreises oder etwa auf Holzschnitten wie denen der Hypneroto-
machia Poliphili (1499) begegnen. Auch die architektonische Umrahmung, in die jede Figur hineingestellt ist,
spricht zu Gunsten des venezianischen Ursprungs. Der gebrochene Spitzbogen, oben als Kielbogen endigend, mit den
Krabben in ihrer, wie Ruskin sagen würde, »Intemperance« ist für die venezianische Hochgotik geradezu typisch.
Es ist dieselbe Bogenform, die Ruskin1 auf der »the Orders of Venetian Arches« schematisch vorführenden Taf. XIV
unter Nr. 4 abbildet und für die er weiter auf Taf. XVI (»Windows of the Fourth Order«) Fenster von einem Palazzo
am Canal Grande gegenüber den Scalzi und auf S. 257, Flg. XXXII ein Doppelfenster von einem Hause in der Salizzada
S. Lio als Beispiele anführt. Die enge Verbindung der besprochenen Bogenform mit den Krabben, die auf den
Blättchen allerdings mehr Straußenfedern gleichen, statt wie gewöhnlich orientalisch-flammenartig auszusehen, zeigt
sich deutlicher als an der großen Architektur an den Bilderrahmen, und zwar sei auf den Rahmen eines veronesischen
Quattrocentobildes (Thronende Madonna mit Kind zwischen vier Heiligen) in der Galerie zu Verona- verwiesen, das
entweder aus einer venezianischen Werkstatt stammt oder die venezianische Mode nachahmt und den Typus deut-
licher zum x4.usdruck bringt, als irgend eines der wenigen bei Bock3 abgebildeten Beispiele. Aber auch die dargestellten
Heiligen lassen sich, was allerdings bei Venedigs Reichtum an Heiligen nicht allzu schwer ins Gewicht fällt, immerhin
aber vorgebracht werden mag, für den venezianischen Ursprung der Blättchen ins Treffen führen. Schreiber irrt
auch bei der Agnoszierung der Heiligen. Nr. 2560 ist wohl eher eine Magdalena als eine Barbara, für die vor allem der
Turm, die Königskrone und die Märtyrerpalme charakteristisch wären. Die Heilige hält auch — der Deckel spricht
dagegen — kaum einen Kelch, sondern das mit einem Fuß ausgestattete Salbgefäß in Händen. Nr. 2715 ist kein
»St. Nicolas de Tolentino (?)«, sondern — eine heilige Lucia, die auf der Tasse ihre Augen liegen hat. Nr. 2721 ist
kein Petrus, da die Figur in der Rechten keinen Schlüssel, sondern ein Buch hält. Petrus wird auch niemals mit einem
Stabe dargestellt. Es ist Jacobus maior mit seinem Pilgerstab. San Tomä, San Giacomo, Santa Lucia, Sant' Agnese und
Santa Maddalena sind aber sogar Titelheilige venezianischer Kirchen.
Was die Technik der Blättchen betrisft, so sind es, wenn man mit Köhler und Dodgson,* denen sich jüngst auch
Kristeller5 angeschlossen hat, die Schrotblätter als für den Hochdruck bestimmte Weiß-Linien-Stiche (white-line
engravings for relief-printing) definiert, keine solchen, weil Umrisse und Modellierung durch schwarze Linien erzeugt
werden. Gleichwohl sind es keine Holzschnitte; dagegen sprechen vor allem die der Arbeit des Schneidmessers im Lang-
holz nicht gemäßen weißen Punkte auf schwarzem Grund und wohl auch noch folgende Beobachtung: bei den durch
die äußeren Umfassungslinien gebildeten Ecken rechts oben auf den Blättchen mit Jakob und Thomas erscheint die
horizontale Abschlußlinie hinausgebaucht., und das ist auf weichem Metall, aber nicht auf Holz möglich; auf Holz hätte
der parallel der rechten Randlinie arbeitende, das Feld der Ecke ausgrabende Stichel die Horizontale am Ende rechts
durchschnitten, aber nicht verbogen.
Der schwarze Grund mit weißen Punkten, der auf Illustrationen venezianischer Drucke hie und da vorkommt,"
geht gewiß eher auf die französischen Livres d'heures als auf die deutschen Schrotblätter zurück. Obwohl keines der
Blättchen rückwärts bedruckt ist, so stammen sie doch wohl aus einem Buche oder waren wenigstens für eines bestimmt.
Man liebte es ja, mit kleinen Bildchen dieser Art die Spiegelränder in den Büchern zu besetzen.7 Leider bin ich außer
stände, das Buch zu nennen, wofür das halbe Dutzend kleiner Heiliger wahrscheinlich angefertigt worden ist.
Trotz der gotischen Umrahmung sind die Blättchen sicherlich nicht, wie Schreiber meint, »vers 14S0—1490%
sondern, schon der ziemlich ausgebildeten Modellierung durch Schraffen wegen, erst nach 1500 anzusetzen.
Arpad Weixlgärtner.

i John Ruskin, The Stones of Venice. Volume the second. The Sea Stories. London 1853.
a Lionello Venturi, Le Origini della Pittura Veneziana 1300—1500, Venezia 1907, Abbildung zu S. 80.
3 Elfried Bock, Florentinische und venezianische Bilderrahmen aus der Zeit der Gotik und Renaissance. München 1902.
4 Campbell Dodgson, Catalogue of early German and Flemish woodcuts, Vol. I, London 1903, p. 152.
Ob freilich die ebenda zitierte und akzeptierte Köhlersche Erklärung des Ausdrucks Schrotblätter, die übersetzt also lautet: »Der deutsche
Name ,Schrotblätter', ,geschrotene Arbeit', von ,schroten' (Korn grob mahlen, etwas roh schneiden oder sägen), drückt eine andere Eigentüm-
lichkeit dieser Drucke aus, nämlich die rohe Art, wie auf vielen von ihnen der Grund mehr ausgenagt als geschnitten zu sein scheint«, — ob
diese Erläuterung richtig ist, erscheint mehr als fraglich. Grob schneiden ist wohl die Grundbedeutung von schroten, der grobe Schnitt aber kann den
Schrotblättern schon darum nicht zu ihrem Namen verholfen haben, weil er einerseits an gleichzeitigen Holzschnitten auch, andrerseits aber an
Schrotblättern, die oft sehr fein geschnitten sind, nicht zu beobachten ist. Das Grimmsche Wörterbuch beruft sich unter Schrotdruck auf Weigels
und Zestermanns »Anfänge der Buchdruckerkunst«, wo im IL Band auf S. 214 die Schrotblätter »von deutschen Goldschmieden ausgeführte Punz-
arbeiten« genannt werden. Ein»Schrotbunzen« wird vom deutschen Goldschmied heute noch verwendet; schroten kommt auch in der Nebenbedeutung
»ausgraben« vor, und Münzen schroten heißt »mit einem ausgehöhlten runden Eisen Münz-Plättlein aus dem Silber oder anderm Metall aushauen«.
So ist es höchst wahrscheinlich, daß auch das deutsche Schrotblatt auf jene Eigentümlichkeit der Technik, die weissen Punkte auf schwarzem Grunde,
zurückgeht, woran der Franzose bei seiner, maniere criblee denkt und worauf die englische Bezeichnung dotted print hinzielt.
5 Paul Kristeller, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten. Berlin 1905, S. 3 f.
8 Siehe zum Beispiel die Abbildungen aus S. 117 (rechts) und 127 (oben) in des Duo de Rivoli Werke: Les misseis imprimcs ä Venise de 1481
ä 1600, Paris 1896.
» Siehe zum Beispiel die Abbildungen beim Duc de Rivoli, 1. c, S. 78, 176 oder 211.
 
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