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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.4249#0005
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MITTEILUNGEN

DER

GESELLSCHAFT FÜR VERVIELFÄLTIGENDE KUNST.

BEILAGE DER „GRAPHISCHEN KÜNSTE".

1907.

WIEN.

Nr. 1.

1

Studien und Forschungen.



Der venezianische Kupferstich im XV. Jahrhundert.

Für die künstlerische Entwicklung des oberitalienischen Kupferstichs ist Andrea Mantegnas Teilnahme von
maßgebendem Einfluß gewesen. Seine Formbildung und der technische Stil, den er geschassen hat, bleiben sür die
meisten oberitalienischen Stecher am Ende des XV. und im Beginn des XVI. Jahrhunderts vorbildlich, bis die An-
schauung der Werke Dürers dieser Kunst auch in Italien neue Wege weist. Mantegna, den die Legende sogar zum
Erfinder des Kupferstichs gemacht hat, ist aber selbst in seiner engeren Heimat, in Venetien, keineswegs der erste
Meister dieser Kunst gewesen, wie manche Historiographien des Kupferstichs annehmen. In Venedig und in den ihm
verwandten Schulen Nordostitaliens waren, lange bevor Mantegna sich für die Graphik zu interessieren begann, zahl-
reiche Stecher tätig, die in einer unmittelbar aus der Goldschmiedegravierung abgeleiteten Technik Kupserstichplatten
für den Bilddruck bearbeiteten. Mantegna ist es sogar augenscheinlich nur mit Mühe und erst nach vielsachen Ver-
suchen gelungen, diese alte zierliche Graviertechnik für seine künstlerischen Zwecke, die unmittelbare, saksimilierende
Wiedergabe der kraftvollen Striche seiner Federzeichnungen, umzugestalten.1
Trotz eifrigster Forschungen in den Archiven ist bisher noch kein Dokument zu unserer Kenntnis gekommen,
das uns die persönliche Bekanntschaft eines venezianischen Stechers vor dem Ende des XV. Jahrhunderts vermittelte.
Wir sind auch nicht einmal im stände, die unbekannten Autoren der uns erhaltenen Stiche als künstlerische Persön-
lichkeiten zu erfassen und die Arbeiten des einen von denen der anderen zu sondern. Dazu ist der Vorrat an Stichen,
die uns — oft sogar nur in schlechtem Zustand oder in späten Abdrücken — erhalten sind, zu gering. Von den
meisten Werken ist nur ein einziges Exemplar bekannt, so daß wir daraus schließen können, wie viele uns überhaupt
ganz verloren gegangen sein mögen. Die dürftigen erhaltenen Reste gestatten uns aber immerhin den Nachweis zu
führen, daß in Venedig und in den venetischen Ländern der Kupferstich etwa seit der Mitte des XV. Jahrhunderts
eifrig gepflegt worden sein müsse.-
Die Berechtigung, die Gruppe von Kupferstichen, von denen hier die Rede sein soll, sür Venedig in Anspruch zu
nehmen, geben uns zunächst äußere Umstände, inhaltliche Beziehungen zu Venedig und besonders die spezisisch
venezianische Dialektform von Inschriften auf einigen der Blätter, dann aber auch die stilistische Verwandtschast der
Formen mit Werken der monumentalen Kunst Venedigs. Die Technik zeigt Eigentümlichkeiten, die nicht nur die
Zusammengehörigkeit dieser Gruppe von Stichen beweisen, sondern sich auch vortresflich aus dem dekorativen,
zierlichen Charakter der älteren venezianischen Malerei, aus ihrem Streben nach zarten, sarbigen Wirkungen und

1

i Siehe Kristeller: Andrea Mantegna, Leipzig und Berlin, 1902, Seite 395 ss.
2 Zani in seinen Materiali per servire alla storia den" incisione (Parma 1802, Seite 60) sucht die Geschichte des venetischen Kupferstichs
über Mantegna hinauszusühren, indem er ein Blatt, den Kamps der Quaresima gegen den Carnevale (Passavant, V, p. 117 n. 86) sür eine mutmaßliche
Arbeit des Francesco Squarcione ausgibt. Crowe & Cavalcaselle, Geschichte der italienischen Malerei, V, Seite 355, Anmerkung, schreiben den
Stich Bernardo Parentino zu. Es ist heute wohl nicht mehr nötig, diese Zuschreibungen zu widerlegen. Der Stich zeigt deutlich den Stil der Schule
Pollaiolos, der sogenannten breiten slorentinischen Manier. Die Komposition ist vielleicht nordischen Vorbildern entnommen. Die Buchstaben SE,
die Zani irrtümlich sür Ansangs- und Endbuchstaben des Namens Squarcione ansah, sind wohl die Abkürzung eines Wortes, das sich auf den
Inhalt der Darstellung bezieht.


 
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