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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.4233#0040
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Überblick über die Schöpfungen dieses eigenartigen
Geistes zu verschaffen.

Lepere — über den übrigens in den «Graphischen
Künsten« schon zweimal (1892 und 1902) berufene Federn
gehandelt haben — ist ein außerordentlich vielseitiger
Künstler. Er war und ist der Reihe nach Holzschneider,
reproduzierender sowohl als auch originalschaffender,
Maler, Radierer, Lithograph, Buchkünstler, Drucker so
wohl als Illustrator, sogar mit der künstlerischen Bear
beitung des Leders hat er sich abgegeben und sich auch
in der Töpferei versucht. Die zuletzt genannte beschäftigte
ihn allerdings nur vorübergehend (1876 —1878), sonst
aber hat er in jeder Technik höchst Eigenartiges, dauernd
Wertvolles und Vorbildliches geschaffen. Diese Meister-
schaft in den verschiedensten Techniken verdankt er, wie
er selbst sagt, der gründlichen Kenntnis einer Technik,
des Holzschnitts. Das künstlerische Handwerk, ernst be-
trieben, gewöhnt den Geist an Zucht und an Unterordnung
gegenüber dem Material und lehrt ihn gewisse Gesetze,
die als dieselben auf allen Gebieten derKunstwiederkehren.
Wieviele Maler und Bildhauer der italienischen Renaissance
sind nicht aus der Werkstatt des Goldschmieds hervor-
gegangen! Lepere ist keiner von den etwas nüchternen, be-
rechnenden, eigenwilligen Köpfen, die als Frucht eisernen
Fleißes tadellose Arbeiten hervorbringen. Er muß Freude
haben an dem, was er schafft. Macht ihm etwas keine
Freude mehr, das heißt, bemerkt er, daß er auf diesem
Wege nicht mehr weiter fortschreiten kann, so hält er
ein und geht zu etwas anderm über. Er hat das Bedürfnis,
immer etwas Neues zu versuchen, sein Arbeitsgebiet immer
mehr auszubreiten. Mit Leidenschaft hat er den Ton-
holzschnitt gepflegt, dann den Linienschnitt mit dem
Messer, dann die Radierung, dann Bücher illustriert,
gedruckt und gebunden, dann sich der Lithographie ge-
widmet. Gegenwärtig ist er wieder mit Leib und Seele
der Malerei ergeben. Es wäre auch schade, wenn dem
nicht so wäre. Denn als Zeichner ist er mit Notwendig-
keit auch Maler und doppelt ist er es durch den starken
Farbensinn, den seine ganze Kunst bezeugt. Seine Farbe
erschien in seinen Bildern zuerst kräftig und glänzend,
später wurde sie, dank der Beschäftigung mit dem Färben
des Leders, tiefer und vornehm kühler

Zunächst der Malerei liebt Lepere jetzt am meisten
den Buchdruck. Er legt großen Wert auf seine Bücher
und mit Recht. Neben Grasset und dem Verleger Pelletan
hat er am meisten getan für das Buch des modernen
Liebhabers. Leperes Bücher haben einen männlichen Reiz,
etwas vornehm Malerisches, eine Überfülle geistvoller
Einfälle; jede Seite ist harmonisch, voll Leben, Mannig-
faltigkeit und Kühnheit: mit einem Wort es sind Kunst-
werke ersten Ranges. Sein Meisterstück, Huysmans' „A
Rebours" (1903), dann das Lob der Torheit des Erasmus
(1906) sind und bleiben unübertreffliche Vorbilder auch
dafür, was der Holzschnitt im Buch sein soll.

Lepere ist ein Künstler seiner Zeit, ein Mann, der
dafür hält, daß alles gemalt werden kann und daß es

kein so verwirrtes Schauspiel gebe, worein ein echtes
Künstlerauge nicht Klarheit bringen könnte. Lepere liebt
Klarheit und Logik, denn er ist Franzose und Pariser,
nicht bloß von Geburt; er ist Pariser wie Reynolds Eng-
länder, Steen Holländer, Dürer Deutscher. Seine Zeich-
nung beweist es. Sicher und so zu sagen tapfer in ihrem
Auftreten hat sie zugleich etwas von der Gutmütigkeit
und der geistvollen Lustigkeit eines Pariser Gassenjungen
oder eines Arbeiters aus den Vorstädten an einem der
schönen Sonntage, wie sie Lepere so gerne schildert. Bei
Lepere verträgt sich das Malerische immer vortrefflich mit
der Wirklichkeit, nie stößt jenes diese um, wie etwa bei
Dore. Leperes Paris ist ein wirkliches Paris, so gut wie
das Meryons, das Lepines oder das Raffaellis.

Wie alle Künstler, die das bunte Schauspiel des
Lebens leidenschaftlich bewegt, ist Lepere ein unermüd-
licher Skizzenzeichner. Jahrelang war es sein Beruf, mit
einem Skizzenbuch unterm Arm die Stadt zu durchstreifen
und voll Vergnügen mit ein paar Strichen und Farben-
flecken die malerischen Winkel aufzunehmen. Diese
raschen Skizzen hat er aber verstanden, gleich auf die
Höhe von Kunstwerken zu bringen. Sie sagen schon
alles, was sie zu sagen haben; unwillkürlich halten sie
das Nötige fest und verwerfen das Überflüssige. Figuren
zeichnet Lepere, wenn er will, nicht minder gut und
vereinigt sie oft mit den Veduten zu einem leben-
sprühenden Ganzen.

Modern wie Lepere ist, möchte er gewiß nicht für
einen Altertümler genommen werden. Und doch könnten
seine Holzschnitte glauben lassen, daß er wenigstens hier
sein Augenmerk auf die Vergangenheit gerichtet habe,
auf die urwüchsigen Arbeiten des XVI. Jahrhunderts. In
der Tat ist Lepere auf die Mache des alten Holzschnitts
zurückgegangen im Bestreben, dekorativ zu sein, und
mit dem Bemühen, die Formen des XVI. Jahrhunderts mit
dem Geist des XIX. und XX. zu füllen. Diese Formen
scheinen ihm die dem Holzschnitt angemessensten und
allein in wirklicher Harmonie mit dem Drucksatz des
Buches zu sein. Er hat noch mehr getan. Damit seine
Holzschnitte das würden, was er anstrebte, hat er un-
mittelbar auf den Stock gezeichnet, so wie es bis zur
Erfindung des Tonschnitts üblich war, bis auf Dore,
Pannemacker den Älteren und Pisan. Diesem Verfahren
verdanken wir die Holzschnitte der von ihm illustrierten
Bücher. Bei solchen Illustrationen hat nicht die Mache des
Holzschneiders die Oberherrschaft, sondern die des Zeich-
ners; wie die Zeichnung, so der Holzschnitt; der Geist
siegt über das Werkzeug.

Zur Stunde steht Lepere auf der Höhe seiner
Wirksamkeit. Was er in w elcher Technik immer unter-
nehmen mag, es glückt ihm und muß ihm glücken. Mit
Bracquemond ist er einer von denen, die Thores Weis-
sagung aus dem Jahre 1855 verwirklicht haben: „Das
kennzeichnende Wesen für die Gesellschaft der Gegen-
wart, für die Gesellschaft der Zukunft wird die Allseitig-
keit sein." Clement-Janin.
 
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